Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
mit Ozzie bestand nun darin, dass er Michael anscheinend als eine Verbindung betrachtete, die zum zukünftigen Nutzen seiner Familie und seiner selbst gepflegt werden musste – und er war der Ansicht, dass Michael ihn umgekehrt genauso sehen sollte. Michael gefiel diese Situation nicht im Geringsten, doch obwohl Ozzie keine offensichtlichen politischen Beziehungen besaß, konnten die Königin und ihre Politik durch Geld genauso leicht wie durch aristokratische Verbindungen behindert werden; Michael sah sich deshalb vor, Ozzie nicht vor den Kopf zu stoßen, während er insgeheim vor Wut rauchte, wenn er dessen schmeichlerische Art zu ertragen hatte.
Eines hatten Lady Astrid und Ozzie gemein: das Gefühl, ihren Kameraden überlegen zu sein, wobei Michael sich recht sicher war, dass sie ironischerweise gegenseitig voneinander nur wenig hielten. Wie ein Magnet die Eisenspäne hatten die beiden die eher amoralisch Ehrgeizigen unter den anderen Middys in ihren Dunstkreis gezogen und gleichzeitig alle Kadetten abgestoßen, die zumindest Michael als die besseren betrachtete – diejenigen, die ihren Rang für ihre Leistung erhalten wollten und nicht dafür, dass sie die richtigen Leute kannten.
Sechs Kadetten sprachen mit Michael kaum ein Wort, weil sie nicht im selben Licht gesehen werden wollten wie Lady Astrid und Ozzie – weder von Michael noch von den Schiffsoffizieren. Dass zwei von ihnen, Sally Pike und Kareem Jones, auf Saganami Island zu Michaels engeren Bekannten gezählt hatten, machte seine Achtung nicht nur schmerzhaft, sondern auch verwirrend.
Hätte Michael etwas zu ihnen gesagt, er hätte, ganz gleich, was er sagte, die Lage nur verschlimmert, und so überstand er einen Tag nach dem anderen und fragte sich, ob sein Alleinsein der Einsamkeit zu vergleichen sei, die, wie er gehört hatte, mit dem Befehl über ein Sternenschiff einherging.
Nach einigen sehr eindringlichen Gesprächen mit Dinah – Gesprächen, die einem erfreuten Ephraim als Vorbereitung auf Judiths Wiederaufnahme ihrer Gebärpflichten dargestellt wurden – war Judith mit vierzehn Jahren in den sehr kleinen, höchst geheimen und leicht mystisch angehauchten Bund der Schwestern Barbaras aufgenommen worden.
Der Schwesternbund hatte Barbara Bancroft zu ihrem Vorbild erkoren, die Frau, die den masadanischen Plan, nach der fehlgeschlagenen Machtergreifung alles Leben auf Grayson zu vernichten, vereitelt hatte. Noch bevor Judith von Ephraim gefangen genommen wurde, hatte sie bereits von Barbara gehört, denn auf Grayson wurde sie als die Retterin des Planeten verehrt. Die Barbara, die Judith von den Wahren Gläubigen geschildert bekam, musste ein ganz anderer Mensch gewesen sein: schlecht, verschlagen, heimtückisch, treulos und blasphemisch.
Tatsächlich war die Barbara Bancroft der Wahren Gläubigen so scheußlich, dass Judith sich anfangs wunderte, warum der Schwesternbund diese ›Metze Satans‹ zu seiner Schutzheiligen gemacht hatte. Nach einigen Geheimtreffen mit Dinah und ihrer Zelle begriff Judith jedoch, dass gerade diese Verleumdung Barbaras der Grund war, weshalb diese beherzten masadanischen Frauen sich nach ihr benannt hatten. Was die Masadaner auch sonst über Barbara Bancroft behaupteten, eins konnten sie ihr nicht anlasten: dass sie feige gewesen wäre. Außerdem hatte Barbara ihren Kampf gegen die masadanische Tyrannei gewonnen. Sie hatte einen furchtbaren Preis für ihren Sieg bezahlt, aber gesiegt hatte sie.
Die Schwestern verfolgten zwei Ziele: zunächst einmal, andere Frauen zu bilden und wenn möglich zu schützen. Schutz wurde jeder Frau gewährt, die Ausbildung jedoch nur jenen, die geprüft und als vollkommen vertrauenswürdig befunden worden waren. Die Geheimhaltung aufrechtzuerhalten war verhältnismäßig leicht, weil jede Frau, die auch nur einige einfache Wörter lesen oder Rechenaufgaben bewältigen konnte, für die das Abzählen der Finger nicht ausreichte, von den Ältesten der Wahren Gläubigen als verdächtig betrachtet wurde.
Welche Strafen frühere Sünderinnen hatten erdulden müssen, das wurde im Kinderzimmer erzählt, in Predigten wiederholt und auf hundert verschiedene Arten im Gedächtnis zementiert. Innerhalb der Wahren Gläubigen existierte sogar eine Strömung, die selbst diese einfachen Künste schon als ersten Schritt auf den schlüpfrigen Abhang der technischen Verworfenheit betrachteten. Sie, die sich die Reinen Gläubigen nannten, verboten selbst den Männern, lesen und
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