Honor Harrington 5. Im Exil
Falte belehrt worden, und beide hatte er in vielen Wettkämpfen zu seinem Vorteil eingesetzt. Aber er war sich völlig sicher, daß Harrington ebensowenig ahnte, was seine Falte war, wie er wissen konnte, wo er die ihre zu suchen hatte; sie konnte doch nicht annehmen, daß sie das auf irgendeine Weise zu diesem späten Zeitpunkt noch herausbekommen würde!
Vielleicht glaubte sie es aber doch. Vielleicht war ihr das Schwert noch zu neu, um all das metaphysische Geschwafel aussortiert und von der praktischen Realität getrennt zu haben, aber William Fitzclarance war definitiv zu erfahren, um sich mit der blanken Klinge in der Hand vom Realen und Praktischen ablenken zu lassen.
Er behielt seine Stellung bei und verzog verächtlich die Oberlippe, als er versuchte, die Dominanz zu erlangen. Diesen Teil genoß er an jedem Wettkampf am meisten. Der unsichtbare Stoß, die unsichtbare Parade, die Spannung, mit der der stärkere Wille den schwächeren dazu zwang, sich dem Angriff zu öffnen. Er leckte sich im Geiste die Lippen bei dem Gedanken, diese Hexe zurückzutreiben.
Aber dann wurde sein Mund wieder weich, und seine Augen weiteten sich, denn es gab kein Aufeinanderprallen. Seine intensive Konzentration verpuffte einfach an ihr, wie ein Schwertstoß in bodenlosem schwarzem Wasser vergeht, ohne daß ihm Widerstand entgegengebracht würde. Eine Schweißperle lief ihm die Wange hinab. Was stimmte nur nicht mit ihr? Er war hier der Meister, sie die Anfängerin. Sie mußte den Druck spüren, die nagende Spannung … die Furcht. Warum griff sie nicht an und machte der Sache ein Ende?
Honor wartete selbstsicher und reglos, mental und körperlich vollkommen wach, und ihre Augen beobachteten jeden Teil seines Körpers, ohne sich im besonderen auf irgend etwas zu konzentrieren. Sie spürte seine Frustration, aber die war ebenso fern und unwichtig wie der Schmerz ihrer gebrochenen Rippen. Sie wartete einfach – und dann bewegte sie sich plötzlich sehr rasch.
Damals und auch später wußte sie nicht zu sagen, was William Fitzclarance’ »Falte« gewesen war. Sie wußte nur, daß sie diese Falte gesehen hatte, daß etwas in ihr den Moment erkannte, in dem er sich entschied und in dem sich seine Arme spannten, um die Klinge hinabsausen zu lassen.
Den Augenblick, in dem er sich völlig auf den Angriff konzentrierte und die Verteidigung außer acht ließ.
Ihr Körper reagierte auf diese Erkenntnis mit der trainierten Reaktionsgeschwindigkeit eines Menschen, der unter einer Schwerkraft geboren und aufgezogen wurde, welche um fünfzehn Prozent stärker war als die der Heimatwelt ihres Gegners. Honors Klinge blitzte auf und vollführte einen blendenden Rückhandschlag; die rasiermesserscharfe Schneide des Staatsschwerts öffnete Burdette von der rechten Hüfte zur linken Schulter. Kleidung und Fleisch wurden zerschnitten wie Spinnweben, und sie hörte, wie er zu einem erschrockenen Schmerzensschrei ansetzte, während seine Klingenbewegung in der Luft gefror. Aber diesen Schrei sollte Burdette niemals vollenden, denn noch während er sich aus seiner Kehle löste und Fitzclarance sich über seinen geöffneten Bauch zu krümmen begann, verdrehte Honor mit Leichtigkeit die Handgelenke. In einer blitzschnellen Fortsetzung der ursprünglichen Bewegung zuckte das Schwert nach links zurück, und hinter dem Schlag lag die volle Kraft ihres Leibes. In einer Blutfontäne sprang William Fitzclarance der Kopf von den Schultern.
30
Honor saß in einer anderen Pinasse und beobachtete durch das Seitenfenster, wie die indigoblaue Atmosphäre dem Ebenholzschwarz des Weltalls wich. Die Überlebenden der Gruppe, die sie vor dreiundfünfzig Stunden auf den Planeten begleitet hatte, saßen schweigend hinter ihr, und über die Verbindung zu Nimitz spürte Honor sie; spürte ihre Trauer wie den Schatten ihrer eigenen – und ihre grimmige Zufriedenheit mit Fitzclarance’ Tod.
Sie richtete den Blick auf den Sitz neben ihr. Auf so einem Sitz war Reverend Hanks in der abgeschossenen Pinasse in den Tod gereist. Auf dem Sitz neben ihr stand nun aber aufrecht ein Schwert. Früher war es das Schwert von Burdette gewesen; nun hieß es das Schwert von Harrington, und Honor bemühte sich, die Gefühle zu analysieren, die sie beim Betrachten der Waffe empfand.
Erschöpfung , dachte sie mit schmalem, düsterem Lächeln: Das war momentan ihre stärkste Empfindung, und das Gefühl durchdrang die trügerisch-falsche Energie, die auf einer Überdosis an
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