Honor Harrington 5. Im Exil
Schweigens. Dann seufzte Yu, faltete locker die Hände auf dem Schoß und räusperte sich.
»Lady Harrington, bis gestern ahnte ich nicht, daß niemand Sie davon in Kenntnis gesetzt hat, wer das Kommando über die Terrible führt«, sagte er. »Für dieses Versehen möchte ich mich entschuldigen – falls es ein Versehen war –, aber auch dafür, daß ich Sie nicht angerufen habe, um Sie persönlich zu informieren. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, aber …« Er unterbrach sich, um Luft zu holen. »Aber ich habe mich nicht getraut«, gab er zu. »Als wir uns zuerst begegneten, wußte ich, daß Admiral Courvosier im Jelzin-System getötet worden war.«
Honors Augen wurden hart, aber Yu hielt dem Blick ohne zurückzuzucken stand und redete mit einer Stimme weiter, aus der ehrliches Bedauern, aber auch die Weigerung sprach, sich für die Erfüllung seiner Pflicht zu entschuldigen. »Aber – damals – wußte ich nicht, wie nahe Sie und der Admiral sich standen, Mylady. Als ich es herausfand, begriff ich, wie schwer es für Sie gewesen sein mußte, mich an Bord Ihres Schiffes als Passagier zu dulden. Und noch mehr, mir ist klar, daß Sie mich möglicherweise nicht an Bord der Terrible haben wollen.« Er atmete tief durch und nahm eine selbstbewußte Haltung ein. »Wenn Sie um meine Ablösung ersuchen wollen, Admiral«, sagte er leise, »so bin ich sicher, daß Hochadmiral Matthews passenden Ersatz für mich wissen wird.«
Honor blickte ihn schweigend und mit einer unbewegten Miene an, die ihr Gesicht wie eine Maske erscheinen ließ. Doch hinter dieser Fassade war sie über sein Angebot erstaunt. Yu mußte wissen, wie sehr sie versucht war, ihn ersetzen zu lassen, und ebenso mußte ihm klar sein, daß sie ihn, ganz gleich, was er wollte, von seinem Kommando ablösen lassen konnte . Doch anstatt dem Thema auszuweichen oder es geschickt zu umgehen, kam er offen darauf zu sprechen und bot ihr sogar an zu gehen, falls es ihr so lieber wäre. Yu hatte bereits alles verloren und denkbar geringe Chancen, je wieder das Kommando über ein Sternenschiff zu erhalten. Trotz allem, was er empfinden mußte, war sein Blick unbeirrt, und Nimitz übertrug Honor seine stille Aufrichtigkeit.
Es wäre so einfach , dachte sie. So einfach, ihn ersetzen zu lassen, anstatt sich mit zwiespältigen Gefühlen herumärgern zu müssen. Außerdem gab es noch einen Aspekt, den sie bedenken mußte. Als ihr Flaggkommandant wäre Yu ihr taktischer Stellvertreter – er würde ihre Befehle und Manöver ausführen. Wenn ihr Geschwader nun doch zum Einsatz kam, wäre Yu genau an der richtigen Stelle, um unübersehbaren Schaden anzurichten, sollte in ihm doch noch etwas Treue zur Volksrepublik überlebt haben. Konnte er selbst denn mit Bestimmtheit sagen, was er tun würde, und was nicht? Wenn es soweit kam, daß er das Feuer auf die Schiffe seiner Heimat eröffnen mußte, vielleicht auf Offiziere und Mannschaften, die er selbst mit ausgebildet hatte – wäre er dazu überhaupt in der Lage? Konnte sie ein solches Risiko eingehen?
»Ich war überrascht, Sie hier vorzufinden, Captain«, sagte sie, um ein wenig Zeit zu gewinnen, während Gedanke und Erwiderung ihr durch den Kopf schossen. »Ich hatte angenommen, daß Sie noch immer zu Hause im Königreich dem ONI zugeteilt wären.«
»Nein, Mylady. Ihre Admiralität hat mich vor zwo Jahren auf Bitten von Hochadmiral Matthews an Grayson … nun, ›ausgeliehen‹ trifft es wohl. Das Amt für Schiffsbau wollte von mir alles über havenitische Baumuster und taktische Doktrinen wissen, bevor es die Konstruktionspläne für Graysons erste Eigenbauten von Wallschiffen niederlegte.«
»Aha. Und jetzt?« Sie wies knapp auf die blauen Uniformen, die sie beide trugen, und Yu antwortete mit einem knappen, dünnen Lächeln.
»Und jetzt bin ich Offizier der GSN, Mylady – außerdem graysonitischer Staatsbürger.«
»Ach, wirklich?« Diesmal konnte Honor ihre Überraschung nicht kaschieren, und Yu lächelte erneut dünn.
»Vor Unternehmen Jericho bin ich nie einem Grayson begegnet, Lady Harrington. Als ich einige von ihnen kennenlernte, war ich … beeindruckt. Vorher war ich wohl davon ausgegangen, daß ein religiöser Eiferer so gut oder so schlecht ist wie der andere, daß es keine Rolle spielte, ob man sich nun für Grayson oder für Masada entschied, aber da hatte ich mich gründlich getäuscht. Es war ein großer Fehler, die Graysons für Fanatiker zu halten, ganz zu schweigen davon, sie mit den
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