Honor Harrington 5. Im Exil
gestehen Sie mir bitte zu, daß für mich alles sehr schnell gegangen ist. Lassen Sie mich darüber nachdenken. Ich will versuchen, Sie nicht hängenzulassen, aber ich muß mich damit auseinandersetzen. Im Moment kann ich nur eins versprechen: Wenn ich nicht um Ihre Ablösung bitte, dann deswegen, weil Sie mein vollstes Vertrauen haben würden, nicht nur in Ihr Können, sondern auch in Ihre Redlichkeit.«
»Vielen Dank, Mylady«, antwortete Yu ruhig. »Nicht nur für Ihre Ehrlichkeit, sondern auch für Ihr Verständnis.« Ein Laut ertönte, und am vorderen Schott leuchtete eine Annäherungsanzeige auf. Die Pinasse näherte sich ihrem Ziel.
Yu sammelte sich. »Im Moment allerdings, Lady Harrington«, sagte er mit beinahe ungezwungenem Lächeln, »wäre es mir eine Ehre, wenn Sie aus dem Fenster schauen und mich Ihnen Ihr neues Flaggschiff zeigen lassen würden.«
10
GNS Terrible schwebte allein auf ihrer Parkbahn, ein zweiköpfiger Hammer in blendendem Weiß. Seine Flanken waren mit drei geometrisch präzisen Linien aus Punkten bedeckt. Das Schiff wirkte zuerst wie ein überaus detailliertes Modell, das in Kinderhände gehörte, schwoll jedoch bei der Annäherung der Pinasse rasch zu beeindruckender Größe an. Honor hatte durch den Kurs, den die Pinasse steuerte, eine ungehinderte Sicht auf ihr neues Flaggschiff. Die Terrible schien eher zu wachsen als näherzukommen, blähte sich zunächst von einem Spielzeug zu einem Schiff auf, dann in den wahrsten Leviathan, der sie auch war. Endlich kam die Pinasse dicht genug, um selbst zum Bezugspunkt zu werden.
Aus Punkten wurden Waffenschächte, groß genug, um eine Pinasse problemlos docken zu lassen. Phasenradaranlagen, die Lasercluster der Nahbereichsabwehr und die scharfen Klingen der Gravitationssensoren stachen heraus und wurden deutlich sichtbar, und die Antriebsemitter, dreimal so groß wie die Pinasse, ragten in aller Wuchtigkeit aus dem Rumpf. Die Terrible war einfach gewaltig, ein acht Millionen Tonnen massendes Ungetüm – mehr als vier Kilometer lang und mit einer maximalen Schiffsbreite von sechshundert Metern, von den weißen und grünen Lichtern eines geankerten Sternenschiffs wie mit Juwelen gesprenkelt. Gespannt starrte Honor aus dem Fenster, während die Pinasse in einer Spirale dem Rumpf auf der ganzen Länge folgte, damit sie jedes Detail erkennen konnte.
Die Terrible besaß nicht die Grazie von Honors letztem Kommando. HMS Nike war ein Schlachtkreuzer gewesen, schlank und arrogant, Geschwindigkeit und Feuerkraft sorgfältig gegeneinander ausbalanciert. Die Terrible war alles andere als schlank. Sie war ein schwerfälliger, weißer Gigant und nicht dazu gebaut, zuzuschlagen und davonzulaufen, nicht dafür entworfen, leichtere Schiffe bis zu deren Vernichtung zu jagen und dank der eigenen Geschwindigkeit kampfstärkeren Gegnern ausweichen zu können. Ihr Zweck lag darin, der zermalmenden Gewalt des Schlachtwalls standhalten zu können. Sie sollte in der Lage sein, Treffer hinzunehmen, die jedes weniger gewaltige Schiff in Trümmer zerschmettert hätte, und trotzdem gefechtsklar zu bleiben. Kein Schlachtkreuzer könnte in der Reichweite ihrer Energiebatterien bestehen.
Die Terrible war nicht der erste Superdreadnought, auf dem Honor diente, aber neben solcher Kampfkraft schrumpfte jedes Schiff, das Honor zuvor kommandiert hatte, auf Zwergengröße – und das Erste Schlachtgeschwader umfaßte sechs dieser Kolosse. Der Gedanke daran jagte Honor einen kalten Schauder den Rücken herunter, aber sie bemerkte ihn kaum, so intensiv musterte sie das Schiff. Mit ihrem geübten Blick erfaßte sie die Unterschiede zwischen der Terrible und ihren manticoranischen Pendants – die zahlreicheren, aber dichter gepackten Werferrohre der Raketenarmierung, auf einem Deck angeordnet anstatt zwischen die Strahlbatterien verteilt; die Anzahl der Dockstellen für Beiboote, die den Platz der Hangars ergänzten; die Anordnung der Positionslichter –, und sie kalkulierte diese ersten Eindrücke. Die Raketenbewaffnung schenkte der Terrible eine hohe Wurfmasse, aber sie besaß weniger Raum in den Magazinen als ein manticoranischer Superdreadnought, mithin weniger Ausdauer in einem anhaltenden Gefecht. Die dichte Packung der Werferrohre machte es wahrscheinlicher, daß ein einzelner Volltreffer mehrere Werfer zugleich ausschaltete. Nachdenklich nickte Honor. Havenitische Schlachtwälle waren ihr stets ein wenig locker vorgekommenen, nun erkannte sie den Grund dafür.
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