Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Während ihrer Haft im Schiffsgefängnis der Tepes hatte Honor kein einziges Wort an ihre Wärter gerichtet, und wenn sie allein war und ihre Gedanken dahinschweiften, fragte sie sich manchmal, ob sie vielleicht vergessen hatte, wie man sprach. Auf merkwürdige Weise war sie zu einer Stummen geworden und hatte sich von den Bereichen ihres Verstandes zurückgezogen, die der Verständigung mit anderen dienten, um die lebenswichtigen Zonen in ihrem Innersten besser schützen zu können. Mit diesem Sprachverlust einher ging das Gefühl zu schwinden, als würde das Tau eines Ankers, der sie mit der Welt verband, sich immer mehr abnutzen. Dabei wußte Honor genau, daß es sich bei diesem Gefühl lediglich um eine weitere Facette ihrer inneren Abgrenzung von den Sadisten handelte, welche die Gewalt über ihre körperliche Existenz ausübten.
Doch noch ein weiterer Anker existierte, von dem die Wärter nichts ahnten und von dem Honor wußte, daß er sie niemals im Stich ließe. Diese Stütze war zwar durch die Entfernung sehr, sehr schwach, doch weil es diese Stütze noch gab, wußte Honor mit Sicherheit, daß Nimitz noch lebte.
Und an diesen Anker hängte sie sich – nicht wie eine Ertrinkende an eine Spiere, sondern wie eine Liebende an den Geliebten. Sie spürte seine Qualen – die fortwährenden körperlichen Schmerzen und die geistige Pein, die ihm daraus erwuchs, daß er ihre Not spürte und nichts dagegen unternehmen konnte. Mehr denn je brauchten sie einander und teilten wenigstens diese letzte Gnade, weil keine der haßerfüllten, sadistischen Kreaturen an Bord von VFS Tepes auch nur im entferntesten ahnte, daß sie noch immer miteinander verbunden waren – daß sie sich gegenseitig stärkten. Nicht durch Hoffnung, denn alle Hoffnung war verloren, sondern durch etwas viel Wichtigeres: Liebe. Durch die unumwundene Versicherung, immer füreinander da zu sein und nicht allein in die Dunkelheit gehen zu müssen, ganz gleich, was die Havies planten.
Auch auf diesem Bein ruhte Honors Stärke, und dieses Bein konnte weder Lieutenant Timmons noch Sergeant Bergren und auch nicht Corporal Hayman ihr unter dem Leib wegtreten.
Sie stieg in den Overall, zog ihn die Beine hoch und wollte gerade die Arme in die Ärmel des Oberteils schieben, als sie eine Hand bei der Schulter packte. Sofort hielt Honor inne und verharrte bewegungslos. Trotz der Distanz, die sie sich erarbeitet hatte, schlug ihr Herz heftiger, denn die Hand gehörte Bergren.
»Bald kommen wir an, Galgenvogel«, erklärte er. Seine höhnische Stimme erklang ganz dicht an ihrem Ohr, und sie spürte seinen warmen Atem. »Nicht mehr lange, und dein starrer Hals wird ein wenig gestreckt.« Honor gab keine Antwort und zuckte nicht einmal mit einem Muskel. Trotzdem lachte Timmons und quetschte ihr in spöttischer Parodie einer Liebkosung die Schulter. »Ich glaube, du würdest dich gern noch ein bißchen trösten lassen, bevor sie deinen wertlosen Hintern zum Galgen schleifen«, sagte er, drückte noch fester zu und zog sie zu sich herum.
Seine Augen glitten an ihr herab, und sie bemerkte die Verderbtheit dahinter. Zwischen der Lust, die Bergren verspürte, und dem, was Paul und sie miteinander empfunden hatten, gab es nicht die Spur einer Gemeinsamkeit. Bergrens krankhafte Gier war noch schlimmer als alles, was Honor je von Pavel Young wahrgenommen hatte. Young hatte sie gehaßt und wollte sie bestrafen, weil sie ihn durch die Zurückweisung seiner Avancen vor den Augen jener erniedrigt hatte, die er als Gleichgestellte erachtete – so hatte Young geglaubt. Sein Haß war seicht und dumm gewesen – der Haß eines Menschen, für den andere keine Lebewesen, sondern Gegenstände waren, die nur zu seiner Annehmlichkeit existierten –, doch wenigstens hatte Young sie persönlich gehaßt.
Bergrens Haß hingegen hatte nichts mit ihr zu tun. Ihn kümmerte nicht, wer oder was Honor war; er nahm nur ihren passiven Widerstand wahr, den sie ihm entgegenbrachte und durch den sie seine Versuche scheitern ließ, ihr Furcht einzujagen. Für ihn zählte nur, jemandem Schmerz zuzufügen, nicht, wer dieser jemand war. Wäre es nicht Honor Harrington gewesen, dann eben ein anderer Mensch. Und welchen Schmerz er anderen zufügte, war Bergren ebenfalls egal – körperlich, geistig, spirituell … es zählte nicht für ihn. Sein Bedürfnis, zu quälen und zu strafen, entsprang keinem bestimmten Übergriff, den jemand gegen ihn unternommen hatte, sondern ging auf alle echten oder
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