Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
müssen weitermachen«, beschloss sie und sah McKeon an, der ihren Blick erwiderte und nach zwei, drei Sekunden nickte.
»Also gut. Gerry«, wandte Honor sich an Metcalf, »Sie gehen zu Chief Barstow. – Scotty, Sie und Chief Harkness helfen ihr ebenfalls. Bei Einbruch der Dunkelheit müssen beide Shuttles startbereit sein.«
»Beide Shuttles?«, fragte McKeon, und Honor grinste ihn verschmitzt an.
»Beide. Es hat wenig Sinn, einen davon zurückzulassen, und mit beiden sind wir notfalls ein wenig flexibler.«
»Wir legen aber auch alle unsere Eier in einen Korb«, sagte McKeon. »Und zwo davon sind schwieriger zu tarnen als nur einer.« McKeon erhob keinen Einwand, er stellte nur Tatsachen fest.
Honor nickte. »Das weiß ich alles, aber ich möchte uns nicht verzetteln. Wenn alle vor Ort sind, haben wir auch alle zur Verfügung, die wir vielleicht brauchen. Außerdem entfällt dadurch jeder Signalverkehr. Das Gelände am Zielpunkt erscheint mir geeignet, beide Shuttles zu tarnen. Mag sein, dass zwei Shuttles schwieriger zu tarnen sind. Aber wenn wir sie – und uns – an einem Fleck halten, halbieren wir die Gefahr, gesichtet oder geortet zu werden. Und wir müssen realistisch sein. Wenn es zum Schlimmsten kommt und eine Rettungsoperation erforderlich wird, macht es keinen Unterschied, ob wir noch einen Shuttle in Reserve haben oder nicht. Wenn Camp Charon je herausfinden sollte, dass es uns gibt, ehe wir bereit sind zuzuschlagen, werden die Havies mühelos mit allem fertig, was wir unternehmen könnten.«
McKeon nickte wieder, und Honor holte tief Luft.
»Also, Herrschaften. Dann wollen wir mal«, sagte sie.
Eigentlich war es nur ein Katzensprung. Camp Inferno lag nur vierzehnhundert Kilometer vom ersten Landeplatz entfernt. Mit Höchstgeschwindigkeit hätte ein Shuttle diese Distanz in weniger als zwanzig Minuten zurückgelegt. Doch Höchstgeschwindigkeit durften die Schiffbrüchigen nicht riskieren. Zwar glaubten sie, alle Überwachungssatelliten entdeckt zu haben, um die sie sich sorgen mussten, und hatten demnach ein Zeitfenster von drei Stunden, in denen sie vor Entdeckung sicher sein sollten . Gewissheit bestand indessen nicht. Möglich, dass ihnen ein Satellit entgangen war; möglich, dass die Reibungswärme, die bei einem Hochgeschwindigkeitsflug freigesetzt wurde, einem der geostationären Wettersatelliten auffiel. Deshalb flogen sie nicht hoch und schnell, sondern tief und langsam mit weniger als Mach 1. Zudem verzichteten sie auf den Kontragrav, sodass sie von keinem Gravitationssensor bemerkt werden konnten. Der Energiebedarf sank dadurch so sehr, dass es auch nicht nötig war, die Fusionskraftwerke hochzufahren.
Diese Entscheidung brachte allerdings auch gewisse Nachteile mit sich; Scotty Tremaine und Geraldine Metcalf, die am Steuer der Shuttles saßen, fluchten während des Fluges fast ununterbrochen still vor sich hin. Ein Vergnügen war es nicht, in altmodischer Manier knapp über das Dschungeldach zu fliegen, zumal die Piloten zur Vermeidung verräterischer Emissionen auf Sicht steuern mussten und kein einziges aktives Abtastgerät einschalten durften. Einmal hätte Tremaine fast die Spitze eines Urwaldriesen abgesägt, der unversehens auf seiner Flugbahn aufragte, und auch die bloße Navigation war eine echte Plage. Die Position ihres Startpunkts hatten sie mit einiger Sicherheit bestimmen können, und die Wetterkarte, die ihnen erst die Existenz Infernos verraten hatte, lieferte ihnen zudem die geografische Länge und Breite des Camps. Aufgrund dieser Daten hatten Tremaine und Metcalf die Kurse vor dem Start geplant, doch gab es keine Funkfeuer, die ihnen auf dem Flug verraten hätten, ob eine Kurskorrektur erforderlich war. Der Gedanke, astronomische Navigation einzusetzen, war lächerlich. Natürlich hätten sie die havenitischen Satelliten als Navigationshilfen verwenden können, wie die SyS-Piloten es taten. Nur waren die Satelliten keine Baken: Sie strahlten kein stetiges Signal aus, sondern sendeten erst, wenn sie vom Boden angerufen wurden. Obwohl es den Shuttles möglich war, sie mit einem eng gebündelten Strahl zu erreichen, hatten Honor und McKeon entschieden, dass solch ein Anruf die Entdeckungsgefahr auf ein unakzeptables Maß erhöhte. Deshalb mussten sich die Piloten im Grunde auf einen Kompass und ihre Augen verlassen; auf einer Strecke von vierzehnhundert Kilometern konnten selbst geringe Navigationsfehler die Shuttles weit vom Kurs abbringen.
Bei besserer Sicht
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