Honor Harrington Bd. 16
in deren Leere Gewissheit. »Dann kommen sie heraus. Und dann schlagen wir zu.«
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Thandi beobachtete die Stelle, an der sie verabredet waren, eine Viertelstunde lang, bevor sie entschied, dass sie nicht in die Falle gelockt werden sollte.
Schon nach zwei Minuten hatte sie erkannt, dass es sich nicht um eine Falle im militärischen Sinne handelte; die restlichen dreizehn Minuten war sie ihrer Gefühlslage auf den Grund gegangen. In diesem Zusammenhang drohte ihr eine andere Kategorie von Falle. Sie fand es sowohl bestürzend als auch interessant, dass die Aussicht auf eine Verabredung zum Mittagessen mit Victor Cachat in ihr ein beträchtliches Maß an Vorfreude weckte, Aufregung sogar.
Wieso?, fragte sie sich, während sie den jungen Mann betrachtete, der in dem kleinen Restaurant in einem der weniger feinen Viertel Maytags am Tisch saß. Aus ihrer Nische hatte Thandi eine gute Sicht auf Cachat. Sie beobachtete ihn durch einen elektronischen Flimmervorhang, der ihre Nische vom Speisesaal abschirmte. Wegen dieser Einrichtung hatte sie dieses Restaurant als Treffpunkt ausgesucht. Sie erhielt dadurch die Möglichkeit, früher einzutreffen und die Lage zu rekognoszieren, bevor sie sich exponierte. Lieutenant-Commander Watanapongse hatte ihr die Möglichkeit eingeräumt, von dem Treffen Abstand zu nehmen, sollte sie etwas bemerken, was ihr falsch vorkam. Wenn sie beschloss, der Begegnung auszuweichen, konnte sie das Lokal ungesehen durch die Hintertür verlassen.
Vielleicht. Sie fragte sich allmählich, ob ihr dieses verdammte Geheimagentengeschäft nicht weit über den Kopf ging. Thandi war letzten Endes Amateurin in diesem Metier, vielleicht begabt und mit dem Vorteil einer ausgiebigen militärischen Ausbildung, doch Victor Cachat war ein Profi - und gehörte höchstwahrscheinlich zu den Spitzenleuten.
Als Erstes fiel ihr an Cachat auf, dass er ebenfalls zu früh kam. Er hatte sogar schon an seinem Platz gesessen, als Thandi in die Nische schlüpfte. So viel also zu ihrem cleveren Einfall.
Das zweite war, dass er seine Umgebung anscheinend überhaupt nicht inspizierte. Er verließ kein einziges Mal den Tisch und schien kaum mehr als einen Blick in den Speisesaal zu werfen. Er hatte sich einen aromatischen Kaffee bestellt, für den die erewhonischen Gasthäuser berühmt waren, und begnügte sich damit, langsam daran zu nippen, während er etwas auf dem in den Tisch eingebauten Display las. Allem Anschein nach war er ein Mann, der eine verlängerte Mittagspause genoss, während er darauf wartete, dass seine Verabredung erschien. Dennoch spürte Thandi, dass Cachat binnen einer Minute nach seiner Ankunft die Umgebung ganz genau erfasst hatte.
Einmal hatte Thandi gesehen, wie er mit dem Kellner einen Scherz austauschte, und sie beschlich der dunkle Verdacht, dass der Witz auf ihre Kosten gehe - eine Variation über das uralte Thema von Frauen und ihrer Vorstellung von Pünktlichkeit. Was, wenn es stimmte, genauso ironisch wie ärgerlich gewesen wäre. Tatsächlich legte Thandi sogar einen etwas zu großen Wert auf Pünktlichkeit - ganz zu schweigen, dass sie zu dieser Verabredung zu früh gekommen war. Was ihr das auch immer nützte.
Der Kellner ignorierte Victor danach; er tat nicht mehr, als er musste. Das Restaurant war weder für das Essen, das es bot, noch für die Bedienung bekannt, deshalb gab es nur relativ wenige Gäste. Victor belegte ganz gewiss keinen Tisch, der anderweitig gebraucht worden wäre. Und da Thandi vom Besitzer des Restaurants durch die Hintertür hereingelassen
worden war, wusste der Kellner nicht, dass in einer der Sondernischen ein weiblicher Gast wartete. Die Existenz dieser Nischen war der eigentliche Aktivposten des Restaurants, und um die Gäste, die sie frequentierten, kümmerte sich der Besitzer selbst. Lieutenant-Commander Watanapongse hatte das Restaurant entdeckt, kurz nachdem Rozsak und sein Stab mit ihrer Arbeit auf Erewhon begonnen hatten, und die SLN-Offiziere benutzten es regelmäßig für verdeckte Lagebesprechungen.
Pfah! Allmählich verabscheute sie die so genannten ›Spezialeinsätze‹. Sie kam sich wie eine Idiotin vor, dass sie in einer raffinierten Geheimnische saß, während ein Mann ihr Eintreffen erwartete und dabei etwas las, das gewiss nicht exotischer war als die Lokalnachrichten. Thandi hatte schon bald bemerkt, dass der eigentliche Grund für ihr Zögern persönlicher und nicht beruflicher Natur war, und dadurch wurde die gesamte Situation für
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