Honor Harrington Bd. 16
lassen. Die wochenlange ›Geiselsituation‹, die darauf folgen sollte, konnte leicht vorgetäuscht werden, solange Thandi nur unbemerkt an Bord der Felicia III kam - was Victor wüsste, bevor er Berry hinüberschickte. Bis auf die am Plan Beteiligen würde niemand bemerken, dass an Bord keine Piraten mehr lebten - schon seit dem Augenblick nicht mehr, in dem Berry Zilwicki zum ersten Mal den Fuß auf seine Decksplatten setzte.
Es war so offensichtlich - und sie hätte den Plan sofort durchschaut, wäre nicht...
Wäre nicht die Erinnerung an einen Mann mit kalten Augen gewesen, der einem anderen durch den Kopf schoss, um drei weitere so sehr zu ängstigen, dass sie ihm verrieten, was er von ihnen wissen wollte. Der gleiche Mann hatte, weil es seinen Plänen nützte, erbarmungslos daneben gestanden und zugesehen, statt einzuschreiten, bevor Templetons Bande vielleicht drei Dutzend Menschen ermordete, manticoranische Soldaten und unbeteiligte Erewhoner.
Victor nickte sehr steif. »Walter Imbesi hat - auf meine Bitte hin - bereits veranlasst, dass die Felicia III weiterhin verzerrte Neuigkeiten von dieser Raumstation erhält, denen zufolge ein lang anhaltender, verzweifelter Kampf zu einem Stellungsgefecht in einem der Tunnel führte. Sie halten die Felicia an Ort und Stelle, denn mittlerweile werden Templetons Männer dort die Kontrolle übernommen haben und ganz gewiss nichts unternehmen, bis sie erfahren, was aus ihrem Anführer und den anderen Fanatikern geworden ist. Auf diese Weise erhalten wir die Zeit, die wir brauchen. Darüber hinaus ist nichts zu tun, als Captain Oversteegen zu überzeugen, seine Rolle zu übernehmen. Was mir als Bürger der Republik Haven wohl kaum gelingen dürfte. Hoffentlich hat Prinzessin Ruth mehr Erfolg.«
Er bedachte Berry mit einem Blick, der erheblich mehr Wärme vermittelte als der an Thandi. »Mir wäre es lieb - und Prinzessin Ruth wahrscheinlich auch -, wenn Sie ihr ein wenig helfen könnten. Nach allen Informationen ist Captain Oversteegen ein sehr halsstarriger Mensch.« Er zeigte mit dem Kopf hinter sich, auf Imbesi. »Walter kann Ihnen den Weg zeigen.«
Er blickte wieder Thandi an. Die Verletzung war verschwunden, ersetzt von Eiseskälte. »Ich lege mich ein wenig schlafen. Ich schlage vor, du tust das Gleiche. Morgen müssen wir ausgeruht sein.«
Er wollte sich abwenden, hielt dann aber inne. Ohne sie anzusehen, sagte er sehr leise:
»Ich bin in der Tat kaltblütig, Lieutenant Palane. Dafür will ich mich auch nicht rechtfertigen. Ich würde mich nicht einmal vor den tapferen Manty-Soldaten rechtfertigen, die ihr Leben verloren haben, und vor dir schon gar nicht. Es tut mir leid, dass sie sterben mussten, aber - um offen zu sein - mir tut es sehr viel mehr leid, dass zehnmal so viele Manpower-Sklaven an jedem Tag sterben, der vergeht, jahraus, jahrein, während das ganze Universum daneben steht, mit der Zunge schnalzt und absolut nichts dagegen unternimmt. Das macht mich nicht zu einem Ungeheuer, das ...«
Ganz kurz schien er zu würgen. »Jawohl, ich riskiere ihr
Leben. Aber nicht stärker, als sie - sieh sie dir nur an - es selbst riskieren würde. Nicht stärker, als diese Soldaten bereit waren, ihr Leben zu riskieren, als sie sich für das Queen’s Own Regiment meldeten. Aber zu glauben, dass ich sie ... dass ich sie wie ein Opferlamm vor den Altar zerre und den Priestern noch die Klinge schärfe ...«
Er sagte nichts weiter. Er wandte sich nur ab und ging davon. Nach wenigen Sekunden hatte er den Salon verlassen.
»Ach, Hölle«, murmelte Thandi. Ihr Herz war schwerer denn je. »Das hab ich wohl wirklich vermasselt, was?«
»Sei nicht albern«, schalt Berry sie. »Das war nur der erste Streit in eurer Beziehung. Du hast ihn beschuldigt, ein unmenschlicher Teufel zu sein, und jetzt ist er eingeschnappt. Nichts weiter dabei.«
Dann verließ auch Berry den Spielsalon; sie ließ sich von Walter Imbesi zeigen, wo sie Prinzessin Ruth, Professor Du Havel und Captain Oversteegen fand. Thandi blieb zurück. Zunächst starrte sie in die Leere. Dann starrte sie den einzigen Menschen an, der sich noch in dem großen Saal befand: Ginny Usher, die sie mit Augen ansah, die nicht viel weniger feindselig dreinblickten als Victors.
Thandi benötigte eine Minute, um sich zu entscheiden.
Neunundfünfzig Sekunden lang sann sie über die Enttäuschungen eines ganzen Lebens nach, über faule Kompromisse und zerschmetterte Hoffnungen. Eine Sekunde brauchte sie, um alle
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