Honor Harrington Bd. 16
bestand auch kein Kollisionsrisiko. Andererseits ...
Zum Glück schenkte die Faseroptik ihr einen vollkommen abgesicherten Zugriff auf die SUTs ihres Teams, und ihre Handschuhfinger flogen über das Kontrolltafel an ihrer Brust und gaben Befehle ein, mit denen sie die Mithilfe der Amazonen ausglich, bevor es zu einem Desaster kam. Ebenso froh war Thandi darüber, dass ihr Com im Moment abgeschaltet war. Sie und ihr Team hätten zwar über die Faseroptik der Halteleine risikolos miteinander schwatzen können, doch Thandi hatte auf absoluter Comstille bestanden. Sie konnte keine Ablenkung gebrauchen, während sie die Amazonen auf ihr Ziel lenkte - oder es wenigstens versuchte. Im Augenblick jedoch sah sie noch einen weiteren und völlig anders gearteten Grund, dankbar zu sein, dass ihre Coms ebenso wie das ihre vorübergehend stillgelegt waren. Da niemand sie hören konnte, durfte sie, als der Anflug auf das Sklavenschiff zu dem verworrenen Chaos ausartete, das Thandi die ganze Zeit über befürchtet hatte, ihrem Verdruss verbal Luft machen - mit einem Strom von Flüchen, die, wären sie gesendet worden, durch ihre Schärfe einem Superdreadnought den Anstrich abgebeizt hätten.
Doch schließlich war auch das erledigt. Nicht gerade mit Anmut, sondern mit deutlichem Holterdiepolter landeten die Amazonen auf der Außenhaut des Frachters, während allein Thandi ihre Flugbahn geräuschlos beendete (nur Prinzessin Ruth kam ihr an Anmut überraschend nahe). Zum Glück war es egal. Die fünf Millionen Tonnen Schiffsmasse hätten sich auch unter einem Aufprall nicht bewegt, von dem die Menschenleiber über die Außenhaut verschmiert worden wären, anstatt nur die Hälfte von ihnen in die Knie zu zwingen. Die schwachen Vibrationen würden an Bord des Schiffes nicht bemerkt werden, so wie ein Berg die Unbeholfenheit von Bergsteigern nicht bekümmerte, die mit hochmütiger Mittelmäßigkeit an seinen Flanken umherkraxelten.
Geschafft. Gott sei Dank. Auch wenn sie nicht genau sagen konnte, wie, war es Thandi gelungen, sie alle in kurzem Abstand zu der Personenluke zu landen, die sie sich ausgesucht hatten. Ruth hatte sich bereits abgenabelt und näherte sich der Luke. Wie sie vorher übereingekommen waren, würde die manticoranische Prinzessin alles übernehmen, was mit Kodes zu tun hatte.
Nachdem sie den Flug nun überstanden hatte, verschwand Thandis Arger in Sekundenschnelle. Nur tiefes Bedauern blieb zurück. Sie war so beschäftigt gewesen, dass sie nicht im Auge hatte behalten können, wie der Shuttle vorankam, der Berry und Victor zum Schiff trug. Nun war es dazu zu spät. Der
Shuttle hätte bereits angelegt, irgendwo außer Sicht hinter der Krümmung des gewaltigen Rumpfes.
Sie hatte also den kurzen Blick auf Victor nicht erhascht, den sie sich gewünscht hatte. Ihren letzten Blick, gut möglich. Es wäre typisch, wenn sie sich gerade noch rechtzeitig verliebte, um ihren Mann nach ein paar Stunden bereits wieder zu verlieren.
Sie schüttelte den düsteren Gedanken entschlossen ab.
Da hast du auch noch ein Wörtchen mitzureden, dachte sie. Ganz zu schweigen...
Und endlich grinste sie wieder. Wild grinste sie, genau das Richtige, um alle Trübnis wegzublasen und ihre Kampfinstinkte zur gewohnten Form erwachen zu lassen. Letzten Endes war der neue Mann in Thandis Leben wirklich nicht so leicht umzubringen.
Gelinde ausgedrückt. Auch ohne Thandis kleine Abartigkeiten und Schwächen hatte es seine Vorteile, ein Alphamännchen zum Geliebten zu haben - besonders dieses.
»Das ist das Zeichen«, sagte Watanapongse, der an einer Signalstation im Kontrollraum des Wages of Sin saß. »Der Sturmtrupp ist gelandet.«
Er blickte das Display vor sich in grimmiger Zufriedenheit an. »Liebe Fanatiker, ich darf Ihnen Lieutenant Thandi Palane vorstellen, den schlimmsten Albtraum aller Masadaner.«
In der Luftschleuse des Shuttles musterte Betty Gohr ein letztes Mal Berry und Victor. Wie die drei Marines hielt sie ein Pulsergewehr für den Fall, dass die Masadaner in letzter Minute gegen die ausgehandelten Bedingungen verstoßen wollten. Das Abkommen war recht simpel: die manticoranische Prinzessin und ein Begleiter - unbewaffnet und in einfacher, eng anliegender Bekleidung - im Austausch dagegen, dass die Masadaner die Sprengung der Felicia III aufschoben. Darüber hinausgehende Abmachungen mussten noch getroffen werden.
Der manticoranische Lieutenant war nicht sehr glücklich über das Ganze; insbesondere störte Gohr das
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