Honor Harrington Bd. 16
die öffentliche Empörung und Hysterie, von denen Oversteegen sprach, waren sehr heftig ausgefallen. Die Darstellung, der Lieutenant habe Offizieren der Königin ausdrücklich und im Widerspruch zu wenigstens einem Dutzend vom Sternenkönigreich Unterzeichneter interstellarer Abkommen den Gebrauch von Folter empfohlen, war bei den Nachrichtenredaktionen eingeschlagen wie ein Laser-Gefechtskopf. Sämtliche Vorgesetzten des Lieutenants sahen sich plötzlich der Gefahr ausgesetzt, zum Kollateralschaden zu werden, und daher hatte der Zweite Raumlord Jurgensen es abgelehnt, sie in Schutz zu nehmen. Persönlich war die Sache Draskovic ziemlich gleichgültig; das Debakel war ein Problem Jurgensens beim ONI gewesen und nicht das ihre. Doch die spektakuläre Art und Weise, wie Gohr sich auf die Nase gelegt hatte, machte es schwierig, sie auf die Gaunllel abzukommandieren. Dass schlechte PR daraus entstehen konnte, lag auf der Hand, doch wenn Jurgensen sich hintergangen fühlte, weil Draskovic einen Offizier rehabilitierte, den er persönlich seinem Schicksal überlassen hatte ...
»Ganz gleich, wie falsch ihre Argumentation auch dargestellt worden sein mag, Captain«, sagte sie schließlich, »die Tatsache bleibt bestehen, dass Lieutenant Gohr zurzeit auf Halbsold gesetzt ist, wenn ich mich recht erinnere, und zwar ausdrücklich wegen der Kontroverse, die ihr Artikel aufgeworfen hat.«
»Das ist richtig, Ma’am«, stimmte Oversteegen gelassen zu und lächelte Draskovic tatsächlich an. »Deshalb bin ich mir ja auch so sicher, dass Lieutenant Gohr zurzeit verfügbar ist.«
»Verstehe.« Draskovic blickte ihn aus zusammengekniffenen
Augen an. Er bedrängte sie, dachte sie. Definitiv bedrängte der Kerl sie ... zum Teufel mit ihm.
»Sie sind sich darüber im Klaren«, sagte sie nach kurzem Schweigen, »dass es mehr als nur ›ein bisschen unüblich‹ wäre, einen ONI-Offizier wieder in den aktiven Dienst als Expertin zu stellen, ohne Admiral Jurgensens Billigung einzuholen, obwohl sie wegen einer solchen Kontroverse auf Halbsold gesetzt worden ist.«
»Unter den meisten Umständen wär’ es so, Ma’am«, gab Oversteegen zu, wobei er stillschweigend Draskovics Andeutung bestätigte, dass Jurgensen niemals einverstanden wäre, Gohr in den aktiven Dienst zurückzuholen. »Allerdings ist Lieutenant Gohr gar kein ONI-Offizier. Sie ist Taktischer Offizier mit einer zwoten Spezialisierung in Gefechtspsychologie und wurde in London Point verwendet, wo sie mit den Marines an Methoden arbeitete, energischen Verhörmethoden zu widerstehen - wie etwa der Folter. Sie wurde zum ONI abgestellt, nachdem Admiral Givens etliche ihrer Artikel zu diesem Thema gelesen hatt’.«
»Das ändert nichts daran, dass sie dem ONI unterstand, als sie mit ihrem letzten Artikel die Gemüter erhitzte«, erwiderte Draskovic.
»Darauf wollt’ ich gar nicht hinaus, Ma’am«, sagte Oversteegen. »Ich wollte vorschlagen, dass man sie - wenigstens offiziell - als Taktischen Offizier auf die Gauntlet abkommandiert, und nicht als Nachrichtenspezialistin. Wie ich schon sagte, ich bin mit Commander Blumenthal absolut zufrieden, aber mein Zwoter Taktischer Offizier steht zur Beförderung an. Ich würde deshalb darum bitten, dass er von der Gauntlet abgezogen und auf einer anderen Planstelle verwendet wird, die besser zu sei’m neuen Rang passt, und Lieutenant Gohr als seine Nachfolg’rin an Bord der Gauntlet kommt.«
»Verstehe.« Draskovic musterte ihn noch einige Sekunden lang schweigend, während sie über das ganz offenkundige, durchsichtige Manöver nachdachte, das er vorschlug. Entfernt war möglich, dass er sie tatsächlich für so dumm hielt, nicht zu bemerken, in welches Schlamassel er sie locken wollte. Sehr wahrscheinlich war das nicht, denn niemand hätte das leisten können, was er in Tiberian geschafft hatte, ohne ein funktionstüchtiges Gehirn sein Eigen zu nennen.
Sie öffnete schon den Mund, um seinen Vorschlag rundheraus abzuweisen, doch da hielt sie inne. Wenn Jurgensen davon erfuhr, würde er vor Wut schäumen. Freilich war es unwahrscheinlich, dass er sie direkt damit konfrontierte. Er war ein alter Kämpe im bürokratischen Hickhack, viel zu erfahren für eine derart grobe, krasse Reaktion. O nein. Er würde einen eigenen, subtileren Weg finden, um zurückzubekommen, was ihm gehörte. Andererseits hatte Josette Draskovic Francis Jurgensen auch unter besten Umständen nie besonders leiden können. Und außerdem war Oversteegen im
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