Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
schmunzeln, denn es dauert nicht mal eine Woche, bis sich die Deutschen
den Essgewohnheiten der Einheimischen anpassen. Sie geben die verzweifelte
Suche nach Vollkornbrot und Thüringer Mett in den Supermärkten auf und laden
stattdessen Kartoffelchipstüten, so groß wie Iglu Zelte, in ihre Einkaufswagen.
Auch die Fastfood-Restaurants dürfen sich dann über die vielen Besucher aus
Übersee freuen, die noch Tage zuvor beim Anblick der unzähligen Reklameschilder
für Cheeseburger und Hot Dogs die Nasen rümpften.
Als wir nach
stundenlanger Fahrt am Nachmittag endlich in Phoenix eintrafen, waren die Leute
ungeduldig und wollten möglichst schnell den Bus verlassen. Meine Aufforderung,
doch bitte noch sitzen zu bleiben, bis ich mit der Rezeption unseren Check-in
erledigt hatte, traf auf genauso wenig Begeisterung, wie die Bitte eines
Flugkapitäns, doch noch angeschnallt sitzen zu bleiben, bis die endgültige
Parkposition erreicht sei.
So ein
Check-in an der Hotelrezeption mit knapp fünfzig Leuten im Schlepptau kann
recht abenteuerlich sein. Die Rezeptionisten lassen sich ständig etwas Neues
einfallen, um den Reiseleitern die Arbeit zu erschweren. Mal sind die Zimmer
nicht pünktlich fertig, mal stehen die Zimmernummern nicht auf den Umschlägen
mit den Schlüsselkarten und manchmal ist auch gar nichts vorbereitet. Umso
überraschter war ich, als bei unserer Ankunft an jenem heißen Junitag zunächst
alles glatt ging und die kleinen Briefchen samt Schlüsselkarten und Frühstücksgutscheinen
an der Rezeption für uns bereit lagen. Nachdem ich die Zimmerliste überprüft
und die Weckrufzeiten an den Rezeptionisten durchgegeben hatte, lief ich zurück
zum Bus und bat alle Reisenden, ihre Schlüsselkarten in der Lobby in Empfang zu
nehmen.
Aufgabe und
Kunst eines guten Reiseleiters ist es, schnellstmöglich die Namen seiner
Reiseteilnehmer auswendig zu kennen und diese auch den jeweiligen Gesichtern
zuordnen zu können. Zu Beginn jeder Saison wundere ich mich oft selbst über
mein gutes Merkvermögen. Spätestens im Juli ist es damit allerdings aus und
vorbei. Da verschmelzen die Gesichter und oftmals suche ich noch spät am Abend
verzweifelt nach Gästen, die schon Wochen vorher wieder abgereist waren. Aber
ein guter Reiseleiter zeichnet sich auch durch seine vielfältige Trickkiste
aus. Meine Kiste ist ziemlich schwer und gefüllt mit Eselsbrücken aller Art. So
merke ich mir zum Beispiel schon bei der ersten Begrüßung eine auffällige
Frisur, ein besonders ausgefallenes Outfit oder die herunterhängenden
Mundwinkel einer Person. Dann versehe ich denjenigen rasch mit einem mentalen
Spitznamen, wie zum Beispiel: Genscherbäckchen, Mannequin Piss oder Bayern Fan.
Desto absurder die Bezeichnungen, desto leichter kann ich sie mir merken. Aber
wehe, es steht ein Herr Meier oder eine Frau Müller ohne auffällige Merkmale
vor mir. Dann bin ich gezwungen, richtig kreativ zu werden und es hilft nur
noch die „Technik der vier Haken“. Ich mustere die Person mit gekonntem Blick
und setze mir umgehend einen Anker mit vier Haken.
„Aha!“, denke
ich mir „Herr Schütterkopf ist der Dicke mit den kurzen Beinen.“
Dann sehe ich
mir seine Reisebegleitung an.
„Aha“, denke
ich wieder, „Frau Schütterkopf ist die Dürre mit den langen Haaren.“
Nun werfe ich
beide in einen Topf und daraus wird dann Familie Schütterkopf: dick, dürr, kurz
und lang. Das mag kompliziert klingen. Ist es auch. In meinem Hirn ist dann
Karneval.
„Aha“, denke
ich, „ Familie Schuster: fröhlich, klein, mager und grau.“ Oder: „Aha! Familie
Seeger: Fischgräten, Pudel, Rosa und Lippenstift.“
Das System ist
unschlagbar. Allerdings funktioniert es nur so lange sich die Menschen in
Paaren bewegen. Kommt Herr Seeger mal allein zu mir, habe ich ein Problem, da
Fischgräten, Pudel, Rosa und Lippenstift eben zusammen gehören und nicht
separat abgespeichert sind.
Nachdem ich
alle Schlüsselheftchen verteilt hatte, widmete ich mich den immer wieder
gleichen Fragen meiner Gäste. Als Reiseleiter muss man eine Engelsgeduld
aufbringen, sonst läuft man Gefahr, in kürzester Zeit den Verstand zu
verlieren. Obwohl ich vor der Ankunft am Hotel ausführlich und präzise die
jeweiligen Frühstücks- und Abfahrtszeiten für den folgenden Tag durchgebe,
fragen grundsätzlich drei oder vier Gäste zur Sicherheit noch einmal nach. So
auch Herr Siedewind. (Schütter, glänzend, Birkenstock und Dauerwelle.)
„Wann gibt es
morgen
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