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Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen

Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen

Titel: Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Tappe
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eine Halbkugel, die mit bis zu acht Metern Durchmesser
Platz für eine ganze Familie bieten soll. Hier wurde in der guten alten Zeit
gearbeitet, gekocht, gebetet und gezeugt. Während der Mann die Schafe hütete,
webte die Frau Teppiche, die auch heute noch bei Kennern beliebte Sammlerobjekte
darstellen. Wir halten in der Regel am Hogan von Rose, der Urenkeltochter eines
waschechten Navajo-Häuptlings. Sie zählt zweifelsohne zu den Bestverdienern
ihres Stammes. Rose hat irgendwo zwischen fünfzig und hundert Jahren auf dem
Buckel. Das variiert jedes Mal, wenn einer meiner Gäste die gute Frau nach
ihrem Alter fragt. Für eine „kleine Spende“ von ein bis zwei Dollar pro Person
dürfen wir uns mit fünfzig Leuten in den Hogan quetschen und Rose für zehn
Minuten beim Teppichweben zusehen.
    „Für so einen
Teppich brauche ich drei oder vier Monate“, erklärt Rose stöhnend und erzählt
uns, wie sie die Schafe schert, die Wolle kämmt, sie einfärbt und sie
anschließend spinnt. Spinnen tut sie meines Erachtens besonders gut. Denn der
Teppich, an dem sie arbeitet, hat sich in den letzten zehn Jahren kaum
verändert. Das sollte man ihr aber nicht übel nehmen, denn sie hat ja
schließlich genug damit zu tun, die vielen Dollarscheine zu zählen, die sie den
Touristen abknöpft. Eine wahre Goldmine ist dieser Hogan, wenn man bedenkt,
dass an guten Sommertagen zwei- bis dreihundert Reisende bei der Alten zu
Besuch kommen. Wer glaubt, die arme Rose müsse am Abend in die Wüste pinkeln
und auf dem Sandboden dieser primitiven Behausung schlafen, irrt. Sie hat sich
ein stattliches Häuschen gebaut. Es steht nur wenige hundert Meter vom Hogan
entfernt und bietet allen nur erdenklichen Komfort. Hat sie einmal gute Laune
und wenig Stress, gibt Rose mitunter noch eine besondere Showeinlage. Sie sucht
sich dann eine Frau aus meiner Gruppe aus und bindet ihr die Haare nach alter
Navajo-Tradition hinterm Kopf zusammen. Das ist zumeist recht schmerzhaft, wie
mir einige Damen in der Vergangenheit berichteten, da Rose nicht gerade
zimperlich ist und gerne kräftig an den Haaren zerrt. Vorteil ist dabei: Die
auserwählte Dame sieht am Ende aus wie nach einem Facelift. Falten haben auf
der Stirn keine Chance mehr. In jedem Fall freut sich die Gruppe. Immerhin
bekommen die Leute für ihr Geld auch etwas geboten.
    Bei einem
dieser Haarbinde-Rituale gab es allerdings einen kleinen Zwischenfall, der
nicht ganz ohne Folgen blieb. Es befand sich eine alleinreisende
Mittdreißigerin in meinem Bus, die nicht mit attraktiven Kurven geizte und
zudem mit langem schwarzem Schneewittchenhaar bezirzte. Sehr zum Argwohn der
Frauen in meiner Gruppe, konnten sich die Männer an der exotisch anmutenden
Schönheit nicht sattsehen. Auch Rose hatte anscheinend einen Narren an der Frau
gefressen und bestand darauf, ihr die Haare zu binden. Schneewittchen hingegen
fand die Idee gar nicht so toll und spähte schon den Fluchtweg aus. Ich musste
all meinen Reiseleitercharme und meine Überredungskünste zum Einsatz bringen,
bis sie sich erweichen ließ und schließlich vor Rose in die Knie ging. Da Rose
der englischen Sprache nicht mächtig ist, kann die Kommunikation zuweilen zäh
sein. Deshalb bitte ich immer einen der Fahrer, bei der Übersetzung behilflich
zu sein. Als Rose die Haare der Dame kämmte, kam ihr scheinbar eine Vision. Sie
bat mich, Schneewittchen mitzuteilen, sie sei eine verlorene Navajo-Tochter.
Die Gruppe fand die Bemerkung sehr belustigend. Ich versicherte Rose, dass mein
Gast ganz gewiss keine Navajo-Tochter sei, schon gar keine verlorene, sondern
aus Regensburg an der Donau stammt, wo ihre Familie seit Generationen verwurzelt
war.
    „Nein. Diese
Frau ist eine Navajo und sie gehört hierher!“
    Rose wollte
nichts von der Donau wissen. Ich sah den Fahrer an. Der hob nur die Schultern.
Schneewittchen sah mich an. Ich hob ebenfalls die Schultern. Dann verzog sie
das Gesicht zu einer Grimasse.
    „Au!“, rief
sie spitz. „Das tut weh.“
    Rose zog noch
fester an dem langen Haar. Die Gruppe lachte und hatte Spaß.
    „Dieses
Mädchen ist Navajo. Ich fühle es an ihrem Haar. So ein Haar haben nur
Navajo-Squaws.“
    Rose meinte es
anscheinend ernst. Schneewittchen fühlte sich unterdessen gar nicht mehr wohl
und hielt sich ungeduldig die rechte Hand auf den Kopf.
    „Bitte sag
Rose, es tut furchtbar weh. Die soll das Band nicht so fest ziehen!“
    Der Fahrer
übersetzte und Rose schien wütend. Sie knotete, wickelte und zerrte die

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