Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
Frisur
indes noch fester. Noch nie hatte Rose so intensiv an einer Frau gearbeitet.
Irgendwie wurde mir mulmig, aber ich wusste auch nicht so recht, was ich machen
sollte. Immerhin befanden wir uns in der Gewalt von Indianern.
„Sag dem
Mädchen, sie soll mit ihren Eltern sprechen“, befahl Rose. „Ich bin sicher, sie
ist adoptiert. Sie ist eine von uns.“
Schneewittchen
blickte verstört um sich. Rose zupfte noch einmal kräftig und festigte den
letzten Knoten.
„Das ist eine
ganz besondere Frisur. Die machen wir nur bei unseren Töchtern und niemals bei
Fremden. Es ist eine große Ehre, die Haare so tragen zu dürfen. Du musst sie
belassen, bis sich die Bänder lösen.“
Schneewittchen
nickte unter Schmerzen. Wir bedankten uns bei Rose. Ich bezahlte sie und
schwor, nie wieder einen Fuß in ihren Hogan zu setzen. Schneewittchen war mehr
als unglücklich. Dem märchenhaften Wesen war jegliche Schönheit entwichen. Gott
sei Dank hatte niemand einen Spiegel zur Hand. Sie sah nun nicht mehr aus wie
eine Märchenfigur, sondern eher wie ein sibirisches Waschweib. Kaum saßen wir
wieder auf dem Pick-up Truck, bat sie mich inständig, die Bänder aus ihrem Haar
zu entfernen.
„Das können
wir nicht machen“, erklärte ich ihr. „Es wäre eine große Beleidigung für die Indianer.
Wir sollten warten, bis wir wieder in unserem Bus sind. Sonst werden die
Indianer noch sauer.“
Außerdem hatte
ich keine Schere dabei und die Knoten sahen nicht aus, als ließen sie sich
leicht wieder lösen. Die restlichen Teilnehmer amüsierten sich köstlich -
besonders die weiblichen. Jeder wollte die verlorene Navajo-Tochter knipsen.
Knapp eine
Stunde später saßen wir wieder im eigenen Bus. Das Unternehmen Knotenlösen
entpuppte sich als äußerst schwierig. Inzwischen bekamen sogar einige Frauen an
Bord Mitleid mit unserem Schneewittchen.
„Mein Gott,
was hat die Rose da nur angestellt? Der ganze Kopf ist verknotet“, empörte sich
Frau Hubel aus der zweiten Reihe. „Das kriegen wir so nie und nimmer los.
Schauen sie mal, Herr Tappe, die hat da auch Haare verknotet. Das hier sind gar
keine Bänder. Ich glaube, die müssen wir abschneiden.“
Ich bildete
mir ein, einen Hauch von Schadenfreude in Frau Hubels Ton zu hören.
Schneewittchen
wurde leicht panisch.
„Das darf ja
wohl nicht wahr sein! Ich glaub‘, ich steh im Wald.“ Sie blickte mich strafend
an. „Das ist alles Ihre Schuld. Sie haben mich zu diesem Mist überredet.“
Die
Indianerromantik war jäh erloschen.
„Sie bringen
mich jetzt sofort zu einem Frisör, und der soll die Knoten raus machen.“
Ich überlegte
kurz.
„Ich bin nicht
sicher, ob das so eine gute Idee ist. Immerhin sind die Frisöre hier auch alle
Navajos.“
„Ach, Du
Scheiße. Auch das noch.“
Schneewittchen
sah nun nicht nur aus wie ein sibirisches Waschweib, sie klang auch wie eins.
Die Lage spitzte sich zu.
Als wir am
Abend unser Hotel in Page am Lake Powell erreichten, bat ich die Empfangsdame,
mir bei der Suche nach einem Frisör behilflich zu sein. Ich schilderte mein
Problem und war erleichtert, als sie mir mitteilte, ihr Freund Freddy habe
einen kleinen Salon am Ende der Hauptstraße. Wir machten uns umgehend auf den
Weg. Schneewittchen, Frau Hubel aus der zweiten Reihe und ich. Ich weiß nicht,
wer mehr Angst hatte, Schneewittchen oder ich. Jedenfalls war ich über Frau
Hubels Gegenwart sehr froh. Sie würde sicher einen klaren Kopf bewahren.
Der Frisör
inspizierte die verknoteten Haare. Sein Blick sagte alles. Es gab ein Problem.
„Hmmm.“ Freddy
kratzte sich am Kopf. „Eigentlich lassen sich diese Frisuren ganz leicht wieder
lösen. Aber in diesem Fall...“
„Was soll das
heißen?“, wollte Schneewittchen wissen.
„Das heißt,
ich werde versuchen, möglichst wenig Haare abzuschneiden.“
Die Schöne
stand kurz davor zu explodieren und wandte sich mir zu.
„Ich werde
einen Teufel tun und mir die Haare abschneiden lassen.“
Ich gab mir
Mühe, ruhig und souverän zu wirken.
„Er will ihnen
ja keinen Kurzhaarschnitt verpassen, sondern nur hier und da ein paar Strähnen
abtrennen.“
Ich zog Freddy
zur Seite.
„Die Frau
bringt mich um, wenn Sie nicht ganz behutsam sind. Ich weiß, Ihnen kann das
egal sein. Sie werden die Dame nie wiedersehen. Ich hingegen muss noch über
eine Woche mit ihr verbringen.“
Nach einigem
hin und her sah Schneewittchen letztendlich ein, dass es ganz ohne Schere nicht
gehen würde.
„Eins sage ich
Ihnen, Herr Tappe.
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