Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
Gruppe nach und nach immer weiter auseinandergerissen. Ich
verzweifelte. Als die Wiener schlapp machten, drohte der Supergau. Das Weibchen
weigerte sich vehement, auch nur einen Schritt weiterzugehen.
„Bleiben Sie
einfach im Schatten sitzen. Ich hole Hilfe und komme zurück sobald wir den Ort
erreicht haben“, versprach ich kleinlaut.
„Gesetzt den
Fall, wir überleben, werde ich Sie und ihr Reiseunternehmen verklagen.“
Das Männchen
tippte mit dem Finger auf meine Brust. Nun war ich nicht mehr sicher, ob ich
überhaupt wollte, dass die Sachertortenfresser überleben. Dennoch hatte der
Mann einen nicht ganz unwichtigen Punkt angesprochen: das Überleben als
solches. Ich war nämlich keinesfalls bereit, schon zu sterben. Womöglich würde
man mich mit den Wienern zusammen unter einem vertrockneten Busch begraben und
ein Holzkreuz mit der Aufschrift „Hier ruhen die Hugos“ aufstellen. Im Grunde
genommen konnte man uns zu jenem Zeitpunkt bereits als „Hils“ bezeichnen. Da
ist der Fachausdruck für „Hugos in Lauerstellung“. So betitelt der
Reisefachmann Urlauber, die bereits vom Tod gezeichnet sind, sei es aus
körperlicher Schwäche, oder weil sie sich so oft beschweren, dass man sie am
liebsten totschlagen möchte. Um diesem grausamen Schicksal zu entkommen, machte
ich mich auf, den Rest der Truppe wieder einzuholen. Da waren’s nur noch
sieben. Kurz darauf brachen zwei weitere Gäste die Wanderung ab. Fest
entschlossen den Marsch erst nach Untergang der Sonne bei kühleren Temperaturen
fortzusetzen, ließen sie sich unter einem Busch nieder. Prinzipiell hielt ich
das für keine schlechte Idee und hätte mich ihnen gern angeschlossen. Aber dann
wäre ich zweifelsohne als absoluter Versager in die Reiseleitergeschichte
eingegangen. Da waren’s nur noch fünf. Wir beschlossen, zusammen zu laufen. Nur
die Achtzigjährige war längst über alle Berge. Woher nahm diese Frau nur die
Kraft? Ich verspürte das Bedürfnis, mich bei den noch verbliebenen Gästen zu
entschuldigen.
„Ich kann
ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut, Sie in diese Lage gebracht zu
haben.“
Zutiefst
beschämt hoffte ich insgeheim auf Verständnis seitens der Reiseteilnehmer.
„Das hilft uns
auch nicht weiter. Beten Sie lieber, dass wir nicht in dieser Hitze verrecken“,
erwiderte eine Dame aus Österreich. „Ich bin schon einiges von Reiseleitern
gewohnt. Aber das hier ist die absolute Krönung.“
„Jeder Mensch
darf doch wohl mal einen Fehler machen“, hätte ich an dieser Stelle gerne
bemerkt.
In Anbetracht
der Tatsache, dass wir an diesem Punkt dem Jenseits näher waren als der
Zivilisation, schwieg ich jedoch lieber. Man(n) muss auch einstecken können.
Mir kamen die seltsamsten Gedanken. Ich stellte mir bereits die fettgedruckte
Schlagzeile auf dem Titelblatt der Bildzeitung vor: Pauschalreise ins
Verderben. Reiseleiter führt Gruppe in den Tod. Ein RTL-Reporter würde
augenblicklich anreisen, um live vom Unglücksort zu berichten und einen menschlichen
Knochen vor die laufende Kamera halten.
„Dieses Gebein
gehört zu dem Mann, der eine ganze Reisegruppe auf dem Gewissen hat. Wir wollen
nun von Ihnen, liebe Zuschauer, wissen: Kann die Nation diesem Mann vergeben
oder soll er in der Hölle schmoren? Rufen Sie jetzt an und gewinnen Sie eine
Rundreise durch die USA.“
Die deutschen
Mädchen, die sich vor der Wanderung gedrückt hatten, würden durch das
Boulevardfernsehen über Nacht als die „Überlebenden einer schrecklichen
Tragödie“ berühmt werden und ein Jahr später mit nagelneuem Silikonbusen neben
Howard Carpendale und Hannelore Elsner im „Dschungelcamp“ Käfer fressen.
Schnitt. Ich
befand mich im Delirium und befürchtete, den Verstand zu verlieren. Mein Hirn
kochte und meine Beine wurden immer schwerer. Ich kann nicht mehr! Ein
lauter Schrei katapultierte mich aus meinen Wahnvorstellungen ins
Wachbewusstsein. Ich hob den Kopf und traute meinen Augen nicht. Ich sah ein
Fahrzeug. Ein richtiges Auto. Ein Pick-up Truck mit Ladefläche. Meine Gäste
winkten dem Fahrer schon aus der Ferne zu. Als der Wagen neben uns zum Stehen
kam, erblickte ich Frau Leetzenheimer auf der Ladefläche. Sie hatte den Truck
an einer Wegkreuzung zum Anhalten bewegt und dem Fahrer mit Händen und Füssen
zu verstehen gegeben, dass sie nicht allein in der Wildnis war und noch andere
Touristen dringend Hilfe benötigten. Welch ein Glück! Wir fuhren zurück und
sammelten die restlichen Wanderer ein. Neben der
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