Hoppe
(Schwermut und Eigensinn). Auf den dritten Blick Klarinette (Rhetorik und Verführungskunst). Auf den vierten das Cello (kompliziert und sentimental).«
Weshalb Lucy Bell am Ende zu dem ernüchternden Ergebnis kommt, es sei für Felicitas am besten, neben der klassischen Blockflöte, die Felicitas liebte und bereits im Alter von sechs Jahren perfekt beherrschte, die aber für Lucy kein Instrument, sondern »nichts als eine Rattenpfeife« war, schlicht und einfach Klavier zu lernen. Das Klavier, befand sie, sei unter den »echten Instrumenten« das einzige, das die Bedürfnisse dessen, der Musik zu machen versucht, »auf befreiende Weise bündelt und neutralisiert, weil die Tasten zumindest den Anfänger von der Aufgabe entbinden, die Töne selbst zu bilden, sei es durch eigenen Atem oder durch die Berührung von Saiten auf einem schwer bespielbaren Steg, von der Handhabung des dazu gehörigen Bogens ganz zu schweigen. Beim Klavier dagegen sind die Töne im Kasten. Egal, welche Taste ein wie wenig auch immer begabter Finger berührt, es kommt immer ein scheinbar fertiger Ton heraus, was, jedenfalls kurzfristig, zu einem trügerischen Erfolgserlebnis führt, das auf anderen Instrumenten nur langfristig zu haben ist, weshalb als Einstiegsinstrumente für Kinder, die schon durch geringfügige Enttäuschungen leicht zu entmutigen sind (was leider immer häufiger der Fall ist), weder Blas- noch Saiteninstrumente geeignet erscheinen.« In anderen Worten: Lucy Bell hielt das Klavier für »das leichteste und unverfänglichste Instrument von allen«, wenn auch ausdrücklich nur für jene, denen für Instrumente »das zweite Ohr abgeht, weil sie von Musik sowieso keine Ahnung haben«.
Das von Lucy Bell erstellte Gutachten blieb zunächst folgenlos, da sich Felicitas’ Vater in den ersten Brantforder Jahren um eine systematische Musikerziehung seiner Tochter genauso wenig Gedanken wie um ihre sportliche Laufbahn gemacht haben dürfte. Dass er allerdings, wie Felicitas später gelegentlich behauptete, aus persönlichen Gründen (vgl. dazu die
Briefe an Maria
) eine Abneigung gegen Musik im Allgemeinen und das Klavier im Besonderen gehabt habe, ist, wie ihr weiterer Lebensweg zeigt, abwegig. Wahrscheinlicher ist, dass er, sei es aus Zeitmangel, Nachlässigkeit oder einfach aus unbedarfter Neugier heraus seine Tochter, wie es in seinen Aufzeichnungen heißt, »einfach machen ließ«, ganz egal, »auf welchem Eis mein Esel gerade tanzt«.
Mit dem Esel auf dem Eis trifft Karl Hoppe, ansonsten kein Mann für sprechende Bilder und Tiere, unbewusst ins Schwarze und bringt Charakterzüge ins Spiel, die für Hoppe insgesamt kennzeichnend bleiben: Leichtsinn, Übermut, Gratwanderei, Disproportion, kühne Inkompetenz und jenen ausgeprägten Hang zum Aufschneiden und zur Prahlhanserei, den schon Bamie Boots an ihr festgestellt hatte. Neben dem immer wiederkehrenden infantilen Traum einer Karriere als Ratte auf dem Hamelner Marktplatz und der Selbststilisierung zum Superpuck bleibt der Esel ihr emblematisches Lieblingstier, wie Hoppes Antworten in Interviews und in zahlreichen in der Künstlerbefragung bis heute inflationär verbreiteten Fragebögen beweisen:
»Ihre Helden in der Geschichte: Esel. Ihre Helden in der Wirklichkeit: Esel. Mit wem würden Sie gern für einen Tag tauschen und warum: Mit einem Esel, weil er keine Fragebögen ausfüllen würde. Lieblingsmusik: IA . Ihre Lieblingsfarbe: Grau. (Hoppes Lieblingsfarbe ist nachweislich Rot./fh) Ihr Lieblingstier: Der Esel, was sonst. Liebt das Alleinsein in der Herde. Eine Eselskavallerie: Undenkbar. Ein Tier, das nie in die Schlacht ziehen würde. (Motto: Fuß vor Fuß) Trittsicher im Gelände. Gute Einschätzung der Lage: Geht, wo er kann, steht, wo er muss. Ruhig, ausdauernd, intelligent und genügsam. Nicht schreckhaft. Selbst unter Androhung von Gewalt unverführbar. Schnell gelangweilt. Schmeichelt sich nicht ein, aber fühlt sich gut an, besonders hinter den Ohren.«
Ohren durchziehen das Werk Hoppes, die, wie Lucy Bell später schnell feststellte, das absolute Gehör besaß, von der ersten bis zur letzten Seite. Aber anders als die Eselsohren in Hoppes Lieblingsbuch
Pinocchio
sind sie keine Vorboten bedrohlicher Strafmaßnahme wie die einer Metamorphose von Mensch zu Tier (Pinocchio und sein Freund Docht verbergen ihre wachsenden Eselsohren peinlich berührt unter hohen Mützen), sondern entpuppen sich als Fluchträume vor der Außenwelt, weil sie unvermutet auch ganz
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