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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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Elternsprechtag begegnet, den Karl nur deshalb besuchte, weil Felicitas ihn dazu gedrängt hatte, Folge ihrer andauernden Klage, ihr Vater interessiere sich nicht für ihre schulische Laufbahn. Tatsächlich war er wenig enthusiastisch, als er an einem Brantforder Donnerstag (»muss die Patentkonferenz ausfallen lassen«) in der Schule erschien, um mit dem Lehrkörper seiner Tochter Kontakt aufzunehmen: »Lauter Gespräche, aus denen nichts folgt«, notiert am Abend der Agent in seinen Aufzeichnungen, »der Mantel, an den Ärmeln ausgelassen, würde auch ohne Rücksprache noch einen fünften Winter halten«. Und: »Schulbibliotheken sind ein Desaster.« Zum Schluss allerdings die überraschend persönliche Notiz: »Die Musiklehrerin macht übrigens Eindruck, eine gewisse Ms Bell, die mir die Notwendigkeit des Quintenzirkels erklärt hat.«
    Es dürfte kaum der Quintenzirkel gewesen sein, der den Esel »vom Eis an die Tasten« brachte. An einem trüben Tag im November erschienen völlig unerwartet drei Männer vor dem »Haus der zwei Lichter«, um ein Klavier durch den Vorgarten zu tragen und es danach »schwer atmend im Flur abzustellen. Der große Kasten erregte in mir vom ersten Moment an eine Mischung aus Faszination und Schrecken, genau wie die Männer, die ihn trugen. Ich begriff sofort, dass sich etwas geändert hatte, das Klavier war nur zum Schein für mich gedacht«, schreibt Felicitas in ihrer Erzählung
Tasten
.
    Und sie fährt fort: »Ich erinnere mich noch genau, wie die Männer sich weigerten, es über die Treppe nach oben in mein Zimmer zu tragen, weil der Aufgang so schmal war, dass sie es über das Geländer hätten heben müssen, was völlig unmöglich war. Das Haus war einfach nicht für Klaviere gebaut, mein Vater war kein Mann für Klaviere und ich keine Schülerin für Lucy Bell. Ich bin und bleibe nun mal die Schülerin meiner Mutter, und das erkannten die Männer sofort, weshalb sie das Klavier einfach im Flur neben der Tür zum Labor meines Vaters stehen ließen. Da steht es vermutlich noch heute, wir haben es einfach zurückgelassen, als wir später nach Adelaide gingen.«
    Zwischen dem erwähnten Klaviertransport und Hoppes Umzug nach Australien liegen knapp vier Jahre, eine Zeit, über die Hoppe in
Tasten
in mehr als nur Andeutungen schreibt: »So wurde aus meiner Musiklehrerin meine Klavierlehrerin und aus meiner Klavierlehrerin die Geliebte meines Vaters, auch wenn er das anfangs nicht zugeben wollte, obwohl offensichtlich war, dass er meinen Unterricht in Naturalien bezahlte, in unserem Wirtschaftsplan gab es für Musik keinen Posten. Bis heute werde ich den Verdacht nicht los, dass er auch das Klavier niemals selbst bezahlt hat, ein Instrument, das verdächtig jenem anderen glich, das eines Tages aus der Aula unserer Schule verschwand, um, so begründete Bell seine Abwesenheit, endlich gründlich überholt zu werden. Weshalb sie plötzlich an einem Donnerstag mit einem unbekannten Mann im Schlepptau erschien, breiter als hoch, die Zähne gelb wie vergilbte Tasten und auf entschiedene Weise verschwiegen, so dass er keine Zeit damit verlor, mich zu begrüßen oder sich vorzustellen (legte nur lässig im Vorübergehen eine Karte auf den Tisch:
Tony Tonell – Stimmung und Instrumentenbau
), sondern sich umgehend an die Arbeit machte.
    Die Stimmung dauerte knapp zwei Stunden, in denen Lucy keine Sekunde von Tonys Seite wich, und obwohl sie kein einziges Wort dabei wechselten, befanden sie sich offenbar in einem Zustand von höherer Übereinstimmung, es war sicher nicht ihre erste gemeinsame Stimmung. Es war das erste (und vielleicht einzige) Mal, dass ich Lucy Bell aufrichtig bewunderte. Tony Tonell, das war offensichtlich, bewunderte sie schon länger.
    Mein Vater übrigens auch. Lucy war eine schlanke Frau mit einem glatten Gesicht mit einem ernsten Ausdruck mit streng nach hinten gebundenen Haaren, die schwarz und ehrgeizig glänzten. Sie hatte (wie geboren für kanadische Orgeln) große Hände und Füße, in schwarzen Schuhen, die auf den ersten Blick den Eindruck erweckten, sie wisse genau, wohin sie wolle. Aber während sie in der Schule und in der Kirche die Selbstbeherrschung in Person war, ließ sie sich während der Klavierstunden in unserem Flur nicht selten ganz unvermutet zu überraschenden Darbietungen hinreißen, indem sie, anstatt mir Unterricht zu erteilen, ohne mit der Wimper zu zucken Bach zu Mozart, Mozart zu Beethoven, Beethoven zu Brahms, Brahms zu Rachmaninow,

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