Hoppe
anderen Zwecken dienen können, vor allem dann, wenn sie, wie in dem oft von Hoppe zitierten Reisebericht Pigafettas (Antonio Pigafetta:
Die erste Reise um die Welt
) so groß sind wie die jener Zwerge auf einer fernen Insel, denen das eine ihrer Ohren »als Bett, das andere aber zur Decke dient«
(Pigafetta)
oder wie die Ohren eines gewissen Hai Shang aus Shang Hai, unter denen man sich bei Regen wie unter einer Pelerine versammelt, um gemeinsam »traurige Lieder« zu singen. (Vgl. dazu A. Lindgren:
Pippi Langstrumpf
.)
»Wozu gibt es Innen- und Außenohren?«, fragt Hoppe in einem späten Aufsatz (
Wer Ohren hat
, 2008 ) und fährt fort: »Das Ohr ist beides, Antenne zur Außenwelt und Schutzmantel der Innenwelt.« Dennoch bleibt Vorsicht geboten, Hoppe misstraut jeder Form von Kommunikation zutiefst, wobei sie weniger die Frage beschäftigt, was wir eigentlich sagen und erzählen, als die Frage danach, was wir wirklich hören können, ob unsere Botschaft tatsächlich ankommt. Es ist kein Zufall, dass besonders in ihren frühen Texten so gut wie gar nicht gesprochen wird. Sie gleichen Prosastummfilmen, deren Protagonisten sich nicht mit Hilfe von Wörtern, sondern mit Gesten und Requisiten verständigen, sie sind nicht Sprechende, sondern Zeigende, als seien sie allesamt taubstumm, als sei ihre Erfinderin in Bells große Schule der Gebärdensprache gegangen.
Ständig winken sie mit Mützen und Schmetterlingsnetzen, tragen Kiepen und Rucksäcke unbekannten Inhalts mit sich herum und versuchen, ihre Umwelt mit Hilfe umständlicher Kameras einzufangen. Wo sie trotzdem zu sprechen versuchen, ist ihre Rede von ständiger Angst und Sorge begleitet: »Aber hörst du mir zu?«, heißt es in
Pigafetta
, »ist hier noch Platz für uns beide? Ja, ich höre dir zu, ich lausche genau. Im Gegensatz zu dir habe ich meinen Platz unter der Uhr keine Sekunde verlassen. Es ist nur der Blick, der dich kurzfristig täuscht, die geänderte Richtung, aber ich höre auch von weitem jedes deiner Worte, ich zeichne alles auf, Silbe für Silbe, und setze sie wieder richtig zusammen, weil du vergessen hast, wie man denen den Mund stopft, die lügen auf offener See.« Hoppes Lügnern wachsen keine langen Nasen, dafür Ohren, auf die aber auch kein Verlass ist. Was also bleibt, um in ein Gespräch zu treten? In
Wer Ohren hat
kommt Hoppe zu dem zweifelhaften Schluss: »Wer nicht hören kann, muss fühlen.«
Gut möglich, dass sie, die sich nachweislich nie ein Haustier hielt und wenig Sinn für die Tierwelt hatte (»mit dem Wunsch nach einem eigenen Hund oder einer eigenen Katze hat sie mich nie behelligt, sie wollte nicht einmal einen Fisch oder Vogel«, so Karl Hoppe in seinen Aufzeichnungen), gerade deshalb eine ausgeprägte Neigung für »Tiere im Text« entwickelte, denen sie nachgerade märchenhafte Fähigkeiten des Verstehens andichtet, eine Art stummes Mehrwissen, das sie am Ende (sie folgt darin ihrer lebenslangen Leidenschaft für Märchen) doch zu einer Art fabelhaften Sprechens befähigt. Eine »bedauernswert regressive Attitüde«, wie Reimar Strat in einer Rezension ihres Romans
Paradiese, Übersee
bemerkt, in dem der neben einem Ritter an der Reling eines Schiffes stehende Hund Munter (ein Name, den sich Hoppe bei Hauff geliehen hat) auf die Frage des Ritters, wie alt er (Munter) sei, die prosaische Antwort gibt: »Dreihundert.«
»Tiere«, schreibt 2005 dagegen Yasmine Brückner in ihrem Aufsatz
Wir sind, was wir spielen
, »sind in Hoppes Texten nicht Tiere, sondern, wie all ihre anderen Figuren auch, Gefährten fröhlicher Kostümierung. Hierarchien innerhalb des Personals sind dieser Autorin in der Literatur wie im wirklichen Leben vollkommen fremd. Sie ist verliebt in die reine Partnerschaft, gleich welcher Form. Sie kennt (oder macht) keine Unterschiede, zwischen Mann und Frau ebenso wenig wie zwischen Mensch und Tier, egal, wie sehr sie damit den Leser verwirrt, wobei Verwirrung niemals ihr Ansinnen ist, sondern nichts als die Folge ihrer eigensinnigen Auffassung von Wirklichkeit. In Hoppes Kosmos könnte jeder Hund ein Ritter, jeder Ritter ein Hund, jeder Kapitän die letzte Hamelner Ratte sein, die erst nach ihm das sinkende Schiff verlässt. In der Welt der Felicitas Hoppe nimmt sich rücksichtslos und ganz nach Belieben jeder an jedem ein Beispiel, ohne Furcht vor dem falschen Vorbild, ohne Angst vor dem falschen Kostüm, ohne die Frage danach, was wem passt. Alle sind alles und nichts auf einmal, Schauspieler auf
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