Hoppe
patentieren lassen sollen!«) erklärt sich aus der Tatsache, dass sie neben den klassischen Grundfächern (Englisch, Mathematik, Geographie und Kanadische Königskunde) weit über vierzig Jahre lang mit großer Leidenschaft die von ihr weit mehr geliebten Fächer Werken und Handarbeit unterrichtete, für die Felicitas keinen Sinn hatte: »Sie konnte ja nicht mal einen Knopf annähen, da kam kein Faden durchs Öhr, von Sticken oder Stricken ganz zu schweigen. Immer hatte sie nasse Hände, alles fiel auseinander. Sie war ein Kind für Ideen, wusste genau, was sie wollte, jedenfalls hatte sie eine sehr genaue Vorstellung davon, wie die Dinge zu sein hätten. Nur konnte sie das nicht in die Tat umsetzen. Ein ganzes Schuljahr lang hielt sie mich mit dem Versprechen hin, nach einem eigenen Entwurf eine besondere Filztasche für ihre Pucks zu nähen. Als ich sie kurz vor den Zeugnissen daran erinnerte, war ihr das peinlich, und in der Woche drauf kam sie dann tatsächlich mit einer Art Umhängetasche aus Filz in die Schule, mit lauter niedlichen kleinen Fächern drin. Aber, jede Wette, die hatte ihr Vater genäht.«
Von Sport und Musik, sie gibt es freimütig zu, versteht Martha nichts, weshalb ihr umso höher anzurechnen ist, dass ihr weder der Hockeyschläger in Felicitas’ Rucksack entging, noch die Tatsache, dass ihre Schülerin nicht nur auf dem Eis, sondern gelegentlich auch im Unterricht sang: »Ja, tatsächlich, sie sang. Nicht dass das richtiges Singen war, wer singt schon im Mathematikunterricht, es war eher eine Art verzweifeltes Summen, mit dem sie sich selbst einfach nach x hin auflöste, so wie manche Kinder beim Schreiben murmeln oder einfach die Lippen bewegen. Kinder kommen ja auf seltsame Ideen, wenn man sie mit ungeliebten Aufgaben konfrontiert. Nur versuchen sie in der Regel, das zu verbergen. Aber das hier war anders, gar nicht stumm, da brachte jemand ganz entschieden was zu Gehör, eine Art Melodie.«
Eine Art Melodie, die auch Felicitas’ Musiklehrerin Lucy Bell nicht entging, Ururenkelin eines der größten Söhne der Stadt Brantford. Höchste Zeit also, beim letzten Tee die Sprache endlich auf Alexander Graham Bell zu bringen, der in einem entsprechenden Wikipedia-Eintrag neben Shawn Antoski (Eishockey), Bill Cook (Eishockey), Wayne Gretzky (Eishockey), Phil Hartmann (Schauspiel und Drehbuch) und Nick Kaczur (Football) den Brantfordern ewigen Nachruhm bescheinigt. (Hoppes Name fehlt in dem genannten Eintrag.) Martha, in die Geschichte verliebt, erzählt mit glühenden Wangen und umständlichem Aufwand, wie sich AGBs Eltern »eines Tages endlich erhoben«, um entschlossen nach Kanada auszuwandern, »weil die Luft für ihren Sohn dort viel besser war«.
Die Familiengeschichte der Bells, weit länger, dramatischer und verzweigter als die der Hoppes (jede Menge Schicksalsschläge, Krankheiten, Tode), rührt die Lehrerin zu Tränen, und es dauert lange, bis sie endlich zur Erfindung des Telefons kommt, die sie in diesem Zusammenhang offenbar am wenigsten interessiert. Bis heute habe sie nie so recht verstanden, wie ein Telefon funktioniert, von der komplizierten Geschichte dauernder Patentstreitigkeiten zu schweigen. Für Martha ist und bleibt Bell in erster Linie »der Retter der Gehörlosen, erster und einziger Erfinder der Gebärdensprache«, und »der größte Sprecherzieher der Menschheitsgeschichte«, der seiner Mutter, als sie zunehmend taub wird, »die Wünsche von Fingern und Lippen abliest«, ein »Morsealphabet der Gefühle« entwickelt und, »als sein Mund ihr Ohr längst nicht mehr erreicht, mit fest an die Stirn des geliebten Gegenübers gepressten Lippen unmittelbar in ihren Kopf hineinspricht«, um später »taubstumme Kinder geduldig zu lehren, sich Luftballons an die Ohren zu halten, um damit fremde Schwingungen aufzunehmen«.
Die taubstummen Kinder scheinen auch Felicitas’ Phantasie, die Bells Geschichte offenbar genau kannte, stark beschäftigt zu haben, nicht zuletzt deshalb, weil sie ahnte, dass Phyllis, die seit Walters Unfall bei
Bell Canada
mit einem »halbierten Ehemann« lebte, ihr damals in der Küche nur die halbe Wahrheit verraten hatte. Sie hatte ihr jene Kinder verschwiegen, die der Rattenfänger nicht mitnehmen wollte, weil sie keine Glückskinder waren.
In der Brantforder Schulbibliothek hatte Felicitas inzwischen ein bebildertes Buch mit dem Titel
German Folk Tales
(Deutsche Sagen)
entdeckt, das neben zahlreichen anderen auch die Geschichte vom
Weitere Kostenlose Bücher