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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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dessen Füßen an einem ungewohnt heißen Januarvormittag ein etwa vierzehnjähriges Mädchen hockte, das, völlig unpassend für die Jahreszeit, einen karierten Overall, festes Schuhwerk und einen Rucksack trug und, die linke Hand wie einen Schirm über den Augen, stadteinwärts auf die King William Road blickte, während neben ihr ein anderer stand, der gleichfalls die Hand auf die Augen legte, allerdings nicht die linke, sondern die rechte, bevor er mit leiser Stimme fragte: Dann sind Sie also zum ersten Mal hier? Sie drehte sich um, was geht Sie das an? Nichts, sagte er, nur dass ich Erstbesucher von weitem rieche. Gefallen sie mir, spreche ich sie an, ich möchte nämlich Bekanntschaften schließen, wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen alles, ich kenne mich aus.
    Das Mädchen nimmt entschlossen die Hand von den Augen, gibt ihm die Hand (die rechte), Hand in Hand gehen sie den Hügel hinunter, hinein in die Stadt, die ihrem Erstbesucher 1 . Die Statue des Stadtgründers William Light, 2 . Das Old Parliament House, 3 . Das Kriegerdenkmal, 4 . Das Government House, 5 . Die Holy Trinity Church, 6 . Das Mitchell Building und 7 . Das General Post Office zu bieten hat, an dem früher, so erklärt der Begleiter, tagsüber eine Flagge hing und nachts eine rote Laterne, die die Ankunft von Post aus England verriet, manchmal auch die von Post aus Hameln, was zwar selten der Fall war, aber immerhin möglich.
    Während sie gehen, lässt der Begleiter ihre Hand nicht los, sondern hält sie nur fester und hört auch im Gehen nicht auf, leise und unaufhörlich zu sprechen, er kennt sich tatsächlich aus. Erst kurz vor dem Victoria Square (an einer Ampel) bemerkt Felicitas plötzlich ein leises Zögern, eine seltsame Unruhe zwischen den Schritten und stellt zu ihrer Überraschung fest, dass ihr Begleiter zwar weiß, wovon er spricht, aber längst nicht mehr weiß, wohin sie gehen. Denn der sie zu führen vorgab, war selbst der Geführte, und die Geführte war, ohne es zu wissen, längst seine Führerin geworden, die erst hier, an der roten Ampel, schlagartig erkannte, dass ihr Begleiter vom Montefiore Hill selbst an diesem strahlenden Sommertag weder die Stadt noch die Hand vor Augen sah, er sah überhaupt nichts, weil er vollkommen blind war und Rot und Grün auf seine eigene Weise trennte.
    Trotzdem gingen sie weiter, noch einträchtiger als zuvor, rechts der blinde Besucher, links, mit offenen Augen, die Zugereiste, erst Hand in Hand, und, als sie der Stadtgrenze näher kommen, unvermutet schon Arm in Arm, eine kleine bewegliche Mauer, zwei Personen, von denen die eine nicht weiß, was die andere sieht, und die andere sieht, wovon sie nichts wusste, weil sie nur ahnten, wohin sie gingen, Richtung Eastwood, wo er gänzlich die Orientierung verlor und in einem fast staunenden Singsang sagte: Ich glaube, hier bin ich noch nie gewesen. Ich auch nicht, sagte das Mädchen zufrieden, worauf sie sich an den Straßenrand setzten und Arm in Arm auf die Straße starrten.
    Vorüber kamen niemand und nichts, sie blieben allein, aber als hätten sie trotzdem Angst, jemanden aufzuwecken, begannen sie, flüsternd über Gerüche und Geräusche zu sprechen, was hört, wer neu auf dem Kontinent ist, was riecht, wer hier aufgewachsen ist, und wie man wieder nach Hause kommt, wenn man sich in einer Stadt verirrt hat, die man nicht sieht. Nur dass sie gar nicht nach Hause wollten. Also blieben sie, Arm in Arm, am Straßenrand sitzen und sprachen weiter. Schließlich gab es genug zu erzählen, für zwei bis drei Tage mindestens, von den Nächten dazwischen zu schweigen. Die würden, so malten sie sich das aus, weil sie jung und ahnungslos waren, äußerst gefährlich sein, bis zum Rand gefüllt mit Sternen, die irgendwann über Eastwood aufgehen und auch dann nicht verschwinden, wenn Felicitas sich zu erinnern beginnt, dass es jenseits des Victoria Parks jemanden gibt, der langsam anfängt, sich Sorgen zu machen.
    Aber Sorgen spielten jetzt keine Rolle, Ortskenntnis war längst kein Thema mehr, genauso wenig wie William Light oder die hässliche Königin oder der Frühstücksraum von Ms Ayrton, die, wie es aussieht, auf ihren Briefmarken sitzenbleibt. Denn hier seht ihr zwei, die, anstatt sich zu schreiben, beschlossen haben, einfach weiterzugehen, blind geradeaus auf der Greenhill Road, auf der schmalen Grenze zur wirklichen Welt, hinter der die große Verwirrung beginnt. Denn zwei Schritte hinter der wirklichen Welt, das sieht selbst ein Blinder

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