Hoppe
(und der Erstbesucher riecht es von weitem), tut sich ein unermesslicher Raum auf (schrecklich und schön), von dem man nichts weiß, weil von ihm nichts erzählt werden kann, weil man hier alles zum ersten Mal sieht und hört und riecht und fühlt und dabei, unschlagbar unerfahren und klug (wie nur einmal im Leben), kurzfristig beide Augen schließt.«
Hoppe ist vierzehn und verliebt. Und wird noch Wochen später das Gefühl nicht los, einen großen Verrat begangen zu haben, »weil er, als wir uns kurz vor Eastwood küssten (eher zufällig als mit Absicht, weil wir beim Abbiegen in eine Seitenstraße, er wollte nach links, ich nach rechts, unvermutet mit den Stirnen aneinanderstießen, von wo aus der Rest nur ein Katzensprung ist, bei Licht besehen kein großes Glück, nur ein kleines Unglück), weder sehen noch wissen konnte, was ich unter dem Overall trage: das Abschiedstrikot Nummer 99 «.
»In diesem Moment«, schreibt Hoppe (die längst von der dritten in die erste Erzählperson gewechselt hat), »hörte ich endlich auf, Briefe zu schreiben, weil der, der sie hätte lesen können, sie längst nicht mehr las (Sieger lesen nun mal keine Briefe!), und der, der sie hätte lesen sollen, denn ER ist gemeint und längst nicht mehr Wayne, sie natürlich nicht lesen kann, weil er vollkommen blind und viel zu nah dran ist. Also bin ich erlöst, ich höre für immer auf zu schreiben und darf endlich sagen, was man einfach so sagt, am besten gar nichts.
Nur dass das, wie sich sofort herausstellt, viel schwieriger ist, als Briefe zu schreiben. Denn verglichen mit dem Schreiben von Briefen und dem Warten auf Antwort, in dem man sich sehr bequem einrichten kann, ist die Gegenwart eine uneinnehmbare Festung: Nie ist man dort, wo man hingehört, immer die Hand an der falschen Klinke. Wie einfach und leicht dagegen das Schreiben, dieses süße Gefasel aus Übersee, dieses ›Denkst du an mich?‹ und ›Willst du nicht auch?‹ und ›Sehn wir uns wieder?‹, als wüsste man jemals, was das bedeutet, an jemanden denken und, weit schwieriger, jemanden wiederzusehen, den man womöglich nicht wiedererkennt, und keine Angst an der grünen Ampel zu haben, sondern so entschlossen wie sanft den Arm in den Arm des anderen zu schieben, um ihn sicher über die Straße zu führen, vorbei an William Light, am Kriegerdenkmal und an Adelheid und ihrem Stottermatrosen, bis wir auf der anderen Seite sind.
Anstatt weiterzugehen, blieben wir sitzen, Hand in Hand, während zum ersten Mal im Leben eine Hand mir sagt, dass ich mich nicht mehr fürchten muss, weil an mir wirklich was dran ist und eine flüsternde Stimme behauptet, ich sei wirklich schön. Dem Himmel über Eastwood sei Dank für mein absolutes Gehör, das mir erlaubt zu hören, was sonst keiner hört, während ich endlich die Augen schließe und mir vorstelle, auch ich wäre blind und längst fertig mit Lesen und müsste mich nur noch auf das konzentrieren, was mich von fern an alles erinnert, was der Matrose der hässlichen Königin sagte:
Ihr meint also wirklich, er (gemeint ist vermutlich Wayne/fh) hat Euch niemals geliebt? Das kann und will ich nicht glauben, und wenn es so wäre, ist er doppelt im Irrtum, denn Ihr seid schön, und bald wird die ganze Welt das erkennen, was, ganz nebenbei, ein Kummer für mich ist, weil ich hergeben muss, was nicht mir gehört, weil Schönheit nun mal geteilt werden muss, weshalb sich schon jetzt die Welt darum reißt, Euch auf die Bühne zu holen, ausverkauft bis zum hinteren Rang, um Euch zu sehen und Eure Stimme zu hören. Man wird Euch beklatschen, sich die Münder zerreißen, Verse gegen Euch schmieden, Euch mit Sonetten traktieren, Euch Lieder singen und Opern zueignen, Flüsse und Inseln, Berge und Täler, ganze Länder und halbe Kontinente, endlose Haupt- und Nebenstraßen wird man nach Euch benennen, Parks und Friedhöfe, Bibliotheken, Theater, Konservatorien, zoologisch-botanische Kindergärten, eine Kirche wird Euren Namen tragen, in der Tag und Nacht tausend Kerzen brennen, bis eines Tages endlich drei Könige kommen, die Euch alles zu Füßen legen, was reisende Könige so bei sich haben, Stimmgabeln, Schläger und Lippenstifte, drei Reiche, drei Kronen, drei Klumpen aus Gold. Und drei Betten, von denen behauptet wird, jedes sei weicher als das andere.
Darüber geraten die Könige in Streit, und Ihr, weil Ihr gütig seid und gerecht, werdet Euch nicht entscheiden können, sondern ratlos am Straßenrand sitzen bleiben und nicht
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