Hoppe
vierzehn, als er Felicitas am Montefiore Hill unter der Stadtgründerstatue zum ersten Mal ansprach, und wird gerade fünfzehn, als er sie zum ersten Mal küsst, allerdings nicht, wie im
Blindgänger
geschildert, auf der Greenhill Road, sondern unter dem Bild einer gewissen Sister Mary McKillop, in der Wohnung seiner Eltern in der Grote Street, wo sein Geburtstag wie jedes Jahr mit großem Aufwand gefeiert wurde, weil er, wie man in der Familie stolz vermerkte, mit dem australischen Nationalfeiertag zusammenfiel (Ankunft der
First Fleet
in Sydney Cove am 26 . Januar 1788 ). Was Felicitas ihrerseits mit Unbehagen erfüllte, weil sie sich offenbar von der Tatsache beschwert fühlte, von nun an an einem einzigen Tag drei Feste auf einmal feiern zu müssen: den Geburtstag Waynes, den Geburtstag Joeys und den Geburtstag eines Landes, »in das man mich wider Willen entführt hat«.
Die Begegnung mit Joey und seiner Familie ist für Felicitas nicht nur deshalb von Bedeutung, weil Joey der Erste war, »der mich RICHTIG KÜSSTE (die Versalien folgen der Handschrift/fh), nicht bloß zwischen zwei Spielen und nebenbei, sondern weil er mir alles beigebracht hat, was man wissen muss, um glücklich zu sein, auch wenn mir das später nicht viel genützt hat«. Joeys Eltern waren nicht nur überzeugte Katholiken und kunstbegeisterte Philanthropen, sondern vor allem besorgte Eltern. Ihr einziger Sohn, im Alter von zwölf Jahren unheilbar erblindet, war Lebensschicksal und Lebensmittelpunkt zugleich, um den sich buchstäblich alles drehte, auch wenn Quentin versuchte, sich das weit weniger anmerken zu lassen als seine Frau Virginia, eine späte und von Schuldgefühlen gepeinigte Mutter, die an nichts anderes als an ihren Sohn denken konnte, was Felicitas, an Phyllis praktischen Umgang mit Kinder gewöhnt, befremdete.
Allein die Tatsache, dass Joey sich »immer wieder aus dem Staub macht und sich, anstatt nach der Schule nach Hause zu kommen, in der Stadt herumtreibt und Fremde anspricht«, wie Virginia Blyton am Morgen von Joeys fünfzehntem Geburtstag in ihrem Tagebuch vermerkt, »und buchstäblich unbesehen jeden einlädt, den er unterwegs trifft«, bringt sie in große innere Unruhe. Aber »lasset die Kinder zu mir kommen!«, setzt sie wild entschlossen hinzu und öffnet die Türen für alle, die Joey auf der Straße aufliest.
Noch Jahre später erinnert sich Felicitas an die »schönste und merkwürdigste Geburtstagsfeier meines Lebens«, nicht zuletzt deshalb, weil ihr eigener Vater ihren (und seinen) Geburtstag ständig vergaß (und das, obwohl Karls Geburtstag auf den 31.12 ., also auf das Silvesterfest fiel!). »Kein Gedanke daran, dass es am zweiundzwanzigsten Zwölften auch nur das Geringste zu feiern gegeben hätte.« Hier dagegen gab es Gäste und Torten, eine Mutter, die geradezu panisch um das Wohl ihrer Gäste besorgt war, und einen Vater, der sich, so berichtet Felicitas, »nicht zu fein dafür war, sich Luftschlangen ins Haar wickeln zu lassen, wozu Walter nur vor laufender Kamera, mein Entführervater dagegen niemals imstande gewesen wäre«.
Der weit über fünfzigjährige Quentin war sogar dazu imstande, kurz nach dem Abendessen plötzlich die Vorhänge zuzuziehen (draußen schien noch immer die Sonne) und ein Kaspertheater aus der Ecke zu holen, wofür sich Joey, wie Felicitas sich erinnert, »entsetzlich schämte, weil es längst nichts mehr mit dem zu tun hatte, wonach er sich sehnte, schon gar nicht nach jener alljährlich wiederkehrenden Stimme seines Vaters, die in die volle Wohnung und noch in Joeys fünfzehntes Lebensjahr hinein tatsächlich zu fragen wagte: SEID IHR ALLE DA ?
Eine Frage, auf die er mit Ausnahme von Wicket (gemeint ist Joeys Hund und ständiger Begleiter, dessen Existenz Felicitas im
Blindgänger
bezeichnenderweise unterschlägt, da sie sich die Rolle der Führerin und damit des Blindenhundes offenbar selbst zugedacht hatte, was ihr später den Spitznamen Wicketoo – ›Wicket Two‹, der zweite Wicket – einbrachte/fh) von niemandem der Anwesenden eine Antwort erhielt. Danach setzte sich Quentin ans Klavier und sang Happy Birthday, während ich, überglücklich (ich hatte seit Monaten kein Klavier mehr gesehen) Joey am Arm packte und aufgeregt fragte: Spielst du auch? Worauf er lachte und sagte: Klar. Aber Cricket!«
Eine knappe Woche später beginnt der Ernst des Lebens: »Schluss mit den Freuden der reinen Erfindung!«, schreibt Felicitas. Karl geht seiner Arbeit
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