Hoppe
sogar so weit geht, die Vorfahren ihrer geliebten Gretzkyfamilie auf dasselbe Schiff (die
Zebra
) wie Kavels Altlutheraner zu setzen, nicht ohne vorher die Vorfahren ihrer Mutter Maria in Gegenrichtung ans Schwarzmeer verschifft zu haben.
Nicht genug damit, tauchen auf der
Zebra
plötzlich unvermutet drei schlesische Weinbauern (»The Seppelt Family«) und zwei Jesuiten auf, ein gewisser Father Aloysius Kranewitter (der nachweislich erst zehn Jahre später in Australien landete und dort, dem römischen Vorbild folgend, die Kolonie
Seven Hills
gründete) und Father Maximilian Klinkostriom, die den Kapitän und seine Altlutheraner in höchst merkwürdige Debatten über Gott und die Welt verwickeln. Noch verwunderlicher allerdings, dass auch im fünften Akt, überschrieben mit
Fünf zur See
, Hoppes Hamelner Geschwister nicht auftauchen. Lucy Ayrton ist nachweislich die Letzte, der Felicitas in
Buch L
das Privileg zugesteht, tatsächlich einen von ihnen gesehen zu haben.
Bei allem Respekt vor dem Genre der Oper, das erfahrungsgemäß Ungereimtheiten jeder Art zulässt, muss gesagt werden, dass Hoppes
Klemzig
sowohl in der erzählten wie in der veroperten Fassung ein nicht nur in künstlerischer Hinsicht zweifelhaftes Werk bleibt. Dafür wird umso deutlicher, nach welcher Karte die Autorin bis heute reist, nämlich ausschließlich nach der »Karte der Namen«. Mehr als einmal hat Hoppe betont, dass es »Namen, sonst gar nichts« seien (vgl. hierzu
Sieben Schätze
, 2009 ), die sie anzögen, und freimütig bekannt, dass, wer keinen schönen Namen habe, leider nicht damit rechnen dürfe, jemals von ihr bedichtet oder besungen zu werden. In ihren Aufzeichnungen zu
Klemzig
finden sich dementsprechend nicht etwa geographische Karten, sondern endlos lange Listen mit Namen von Schiffen, auf denen die Auswanderer reisten (darunter neben der bereits erwähnten
Zebra
die
Taglione
, die
George Washington
, die
Joseph Albino
, die
Prince George
, die
Brilliant
u.v.a.) und ebenso lange Listen mit den Namen, die die Einwanderer ihren Niederlassungen gaben (u.a.
Hoffnungsthal
,
Lightpass
,
Gnadenreich
und
Lobethal
, nicht zu vergessen der Name des Ankunftshafens der Einwanderer:
Port Misery
).
»Aber was sind schon Namen!«, schreibt Hoppe gut zwanzig Jahre später in
Pigafetta
, dessen Erzählerin ausdrücklich auf einem namenlosen Containerfrachtschiff reist. Und meint damit selbstverständlich nichts anderes, als dass Namen alles sind. »Intuitiv begriff sie früh«, schreibt Kai Rost, »dass es natürlich, was sonst, jene Formeln der Selbstbehauptung und Bannung sind, die am Ende Geschichte machen, und dass, wo Namen verschwinden, auch die Geschichte verschwindet.« So auch kurzfristig Klemzig, das während des Ersten Weltkriegs bis zu seiner Rückbenennung im Jahr 1935 (vgl. dazu
South Australia’s Nomenclature Act
) den Namen Gaza trug. Wie Klemzig vor der Zeit mit den großen Schiffen hieß, also »lange bevor überhaupt jemand kam«, erfuhr Felicitas allerdings erst viel später.
Der Einzige, der sich an Felicitas’ Klemzigbegeisterung offenbar ernsthaft interessiert zeigt, ist ihr Lehrer Carl Dark, der sie sogar dazu einlädt, in ihrer Klasse einen Vortrag zum Thema zu halten, wovon sich der echte Karl, Hoppes Vater, weit weniger angetan zeigt. Erinnern wir uns daran, dass Felicitas’ Vater alles »Rückwärtsgewandte« entschieden nicht mochte (»Vergangenheiten ertrage ich schlecht«) und immer wieder betonte, es komme im Leben einzig und allein darauf an, nach vorne zu blicken. Als Felicitas eines Abends bei einem ihrer immer seltener werdenden gemeinsamen Abendessen die Rede auf ihren Vortrag bringt und dabei erwähnt, ihr Geschichtslehrer habe sie gebeten, zu Hause nach Unterlagen (Urkunden, Familien- und Stammbücher) zu fragen, reagiert Karl ungehalten und erklärt rundheraus, er sei nicht aufgebrochen, »um auf Menschen zu treffen, die mich an etwas erinnern«, sondern um sich ein neues Leben zu schaffen, für das man »weder Papiere noch Urkunden braucht«, sondern einzig und allein »eine Haltung, eine Stelle, einen Vertrag bei
AP
«, alles andere interessiere ihn nicht, er habe nicht die Absicht, seine Zeit mit Recherchen zu vergeuden, »aus denen man hinterher sowieso nichts als schlechte Geschichten macht«. Um zu Felicitas’ Überraschung hinzuzufügen, sie seien schließlich weder Altlutheraner noch Mennoniten, sondern nach wie vor schlicht und einfach katholisch, also überall auf der Welt zu Haus, was
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