Hornblower 02 - Leutnant Hornblower
kam mit einem Paar Leinen in der Hand den Niedergang heraufgeklettert, hinter ihm tauchte einer der Seesoldaten auf, der sich mit einer Hand krampfhaft an die steile Treppe klammerte und mit der anderen eine schwere Last hinter sich herzog.
»Vorsicht, Vorsicht jetzt!« mahnte Clive.
Nun war auch der Seesoldat oben angelangt und holte mi Coleman zusammen das Kopfende der Planke herauf, die den verletzten Kommandanten trug. Man hatte ihn wie eine Mumie fest in die Persenning gewickelt und unverrückbar auf dem dünnen Holzbrett festgelascht, weil das die einzige brauchbare Methode war, einen Mann mit Knochenbrüchen steile Niedergänge hochzuschaffen. Pierce, der zweite Sanitätsmaat, kam jetzt hinterher und steuerte das Fußende der Planke. Die Leutnants drängten sich herzu, um mit Hand anzulegen, als die Bahre über das Luksüll gehoben werden mußte. Im Licht der Laternen erhaschte Bush einen Blick auf das Gesicht des Kommandanten, das bleich aus der Hülle der Persenning hervorstach. Es wirkte still und ausdruckslos, allerdings konnte man nicht allzuviel davon erkennen, weil ein dicker weißer Verband das eine Auge und die Nase verdeckte. Die eine Schläfe trug noch Blutspuren, die der Arzt nicht ganz beseitigt hatte.
»Bringen Sie ihn in die Kajüte«, sagte Buckland.
Dieser Befehl war entscheidend und gab dem Augenblick, in dem er ausgesprochen wurde, ein besonderes Gewicht. War der Kommandant eines Kriegsschiffes nicht in der Lage, seinen Dienst zu versehen, dann war es Pflicht des Ersten Offiziers, das Kommando zu übernehmen. Mit seinen kurzen sechs Worten hatte Buckland das getan. Wenn er die Führung des Schiffes einmal innehatte, dann war er sogar berechtigt, über die geheiligte Person des Kommandanten zu verfügen. Indes fiel seine Maßnahme bei all ihrer Bedeutung doch nicht aus dem Rahmen der Bordroutine. Buckland hatte schon oft genug die Stelle des Kommandanten vertreten, wenn dieser vorübergehend abwesend war. Also ließ er sich auch in diesen schweren Stunden getrost von den Regeln der Routine leiten. Dreißig Jahre Borddienstzeit als Fähnrich und Leutnant hatten ihn außerdem so viel Selbstbeherrschung gelehrt, daß er auch jetzt seinen jüngeren Kameraden gegenüber der alte blieb und überlegt zu handeln wußte, obwohl er gewärtigen mußte, da schon in allernächster Zukunft ein furchtbares Schicksal über ihn hereinbrach. Jetzt war Buckland also Kommandant, und Bush machte dazu etwas nachdenkliche Augen. Er konnte nicht recht daran glauben, daß Routine, Gewohnheit, Erfahrung in diesem Fall auch auf die Dauer ihre Früchte trugen. Buckland war ganz offensichtlich seelisch etwas aus dem Gleichgewicht.
Das war ohne weiteres zu begreifen, wenn man die Last der Verantwortung bedachte, die ihm unter so dramatischen Umständen aufgebürdet worden war. Jeder arglose Außenstehende, der nicht um die geheimen Hintergründe wußte, hätte sich selbstverständlich mit dieser Erklärung zufriedengegeben. Aber Bush sah eben tiefer. Ihn verfolgte ständig die Angst, er fragte sich immer wieder verzweifelt, was der Kommandant wohl unternehmen würde, wenn er wieder zu sich kam. Und jetzt entdeckte er voll neuer Sorge, daß Buckland seine eigene Angst teilte. Wenn das so war, wenn Buckland ebensoviel an den Sträflingskittel, an das Kriegsgericht und an den Henkerstrick dachte wie er selbst, dann konnte er unmöglich seinen Mann stehen. Dabei war gerade sein Auftreten vielleicht entscheidend für das Schicksal - um nicht zu sagen das Leben - er Offiziere dieses Schiffes.
»Verzeihung, Sir«, meldete sich jetzt Hornblower.
»Ja - bitte?« sagte Buckland, und dann noch einmal etwas gezwungen: »Ja, Mr. Hornblower?«
»Darf ich die Aussage des Unteroffiziers gleich schriftlich niederlegen, solange er alle Einzelheiten frisch im Gedächtnis hat, Sir?«
»Einverstanden, Mr. Hornblower.«
»Danke, Sir«, sagte Hornblower. Dabei machte er ein völlig undurchdringliches Gesicht, das keine andere Regung verriet als achtungsvolle Beflissenheit. Er wandte sich an den Korporal:
»Melden Sie sich in meiner Kammer, wenn der Posten Kajüte abgelöst ist.«
»Jawohl, Sir.«
Der Arzt und seine Leute hatten den Kommandanten inzwischen weggebracht, aber Buckland machte immer noch keine Miene, sich vom Fleck zu rühren. Er war wie gelähmt.
»Unten liegt noch die zweite Pistole des Kommandanten, Sir«, erinnerte Hornblower, ehrerbietig wie immer.
»Ach ja, richtig.« Buckland sah sich suchend um.
»Da wäre
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