Hornblower 02 - Leutnant Hornblower
Sir, Mr. Buckland läßt Mr. Roberts bitten.«
»Schön«, sagte Roberts und eilte die Treppe hinunter.
Die anderen tauschten Blicke untereinander. Es konnte sein, daß jetzt der Augenblick der Entscheidung gekommen war, aber vielleicht handelte es sich auch nur um eine ganz gewöhnliche dienstliche Angelegenheit. Hornblower nahm die Ablenkung der anderen wahr, um sich von der Gruppe abzuwenden und seine Wanderung an der Luvreling fortzusetzen. Dabei sank ihm das Kinn fast ganz bis auf die Brust, sein weit vornüberhängender Kopf wurde durch die auf dem Rücken verschränkten Hände ausgewogen. Bush hatte den Eindruck, daß er sehr müde aussah.
Jetzt kam ein neuer Ruf von unten und wurde vom Posten am Niedergang wiederholt.
»Mr. Clive! Mr. Clive wird gebeten! Mr. Buckland läßt Mr. Clive bitten!«
»Aha!« sagte Lomax in vielsagendem Ton, als der Arzt unter Deck eilte.
»Da geht etwas vor«, sagte Carberry, der Obersteuermann.
Die Zeit verging, ohne daß der Zweite Leutnant oder der Arzt wieder an Deck erschienen wären. Die zweite Abendwache wurde gepfiffen. Smith, den Kieker als Zeichen seiner Würde als W.O. unter den Arm geklemmt, trat grüßend zu Hornblower, um ihn abzulösen. Im Osten dunkelte der Himmel, a Steuerbord vorn ging die Sonne in einer wahren Orgie von Rot und Gold zur Neige, vom Schiff zur Sonne zog sich eine golden glitzernde Bahn, und dicht an der Bordwand schimmerte die See in tiefstem Purpur. Ein fliegender Fisch durchbrach die Oberfläche, er strich dicht über das Wasser hin und hinterließ darin eine flüchtige Spur wie einen Ritz in spiegelndem Emaille.
Als die Nacht schon niedersank, erschienen Roberts und Clive wieder an Deck. Bush hatte sie sofort gesehen und trat voll Spannung auf sie zu. Auch die anderen Offiziere kamen von allen Teilen des Achterdecks herbeigeeilt, um zu hören, was die beiden zu berichten hatten.
»Nun, Sir?« fragte Lomax.
»Er hat es endlich getan«, sagte Roberts.
»Den Geheimbefehl gelesen?« fragte Smith.
»Soviel ich weiß, ja.«
»Ach!«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, bis jemand die unvermeidliche dumme Frage stellte: »Was steht denn drin?«
»Der Befehl ist geheim«, erklärte Roberts großartig und ein bißchen von oben herab, sei es, um seine eigene Unwissenheit zu bemänteln, sei es, weil er sich allmählich in seiner neuen Würde als stellvertretender Kommandant zu fühlen begann.
»Auch wenn mich Mr. Buckland ins Vertrauen gezogen hätte, könnte ich Ihnen nichts darüber sagen.«
»Damit haben Sie recht«, sagte Carberry. »Wie hat sich der Kommandant dazu gestellt?« fragte Lomax. »Der ist ein armer Teufel«, sagte Clive, den die Spannung seiner Zuhörer gesprächig machte. »Er benahm sich, als ob wir Ausgeburten der Hölle wären! Sie hätten nur sehen sollen, wie er sich verkriechen wollte, als wir zur Tür hereinkamen. Seine krankhaften Angstzustände werden immer ärger.« Er hielt inne und wartete darauf, daß sein Publikum mehr von ihm wisse wollte. Als sich niemand meldete, fuhr er von selbst fort zu erzählen.
»Wir mußten doch den Schreibtischschlüssel haben. Ich sage Ihnen, man konnte wirklich denken, wir wollten ihm den Hals abschneiden, so führte er sich auf, als wir uns daranmachten, danach zu suchen. Der Ärmste macht wahrhaftig alles Leid der Welt und alle Qual der Hölle durch.«
»Und - haben Sie den Schlüssel denn gefunden?« drang Lomax weiter in ihn.
»Ja, wir fanden ihn. Dann öffneten wir seinen Schreibtisch.«
»Und dann?«
»Mr. Buckland fand den Befehl. Er steckte in dem üblichen Leinenumschlag mit dem Siegel der Admiralität. Der Umschlag war schon geöffnet.«
»Natürlich«, sagte Lomax. »Was geschah weiter?«
»Nun«, sagte Clive und genoß den Höhepunkt der Spannung »ich nehme an, daß er ihn jetzt lesen wird.«
»Und wir sind wieder genauso schlau wie zuvor.«
Alle versanken in enttäuschtes Schweigen.
»Ach du großer Gott«, sagte Carberry. »Seit Anno 93 führen wir jetzt schon Krieg, das sind bald zehn Jahre. Und Sie wollen immer noch wissen, was Ihnen bevorsteht? Heute ist es Westindien - morgen vielleicht Halifax. Wir tun, was uns befohlen wird. Luvruder - Schoten dicht. Eine Ladung Blei im Bauch oder eine Flasche Sekt auf dem gekaperten Flaggschiff, was kümmert's uns? Wir kriegen unsere vier Shilling den Tag, ganz gleich, ob's regnet oder ob die Sonne scheint.«
»Mr. Carberry«, kam es von unten, »Mr. Buckland läßt Mr. Carberry bitten.«
»Ach du großer
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