Hornblower 04 - Hornblower wird Kommandant
das Schreiben lesen, sobald ich Zeit finde.«
»Darf ich Sie jetzt unter Deck führen?«
»Danke, ja.«
Die Kommandantenkajüte der Atropos war so winzig, wie Hornblower erwartet hatte, kleiner konnte man sich den Wohn-und Schlafraum gar nicht denken. Ein jeder der beiden Räume war so eng, daß sie nicht einmal gegeneinander abgeschottet waren, ein Vorhang sollte sie an Stelle einer festen Wand voneinander trennen, aber dieser Vorhang war nicht vorhanden.
Es war überhaupt nichts vorhanden - kein Kojenzeug, kein Schreibtisch, kein Stuhl, nichts. Offenbar hatte Caldecott auch das letzte Stück von seinen Sachen mitgenommen, als er von Bord ging. Dagegen konnte man an sich durchaus nichts einwenden, aber für den Nachfolger war es auf jeden Fall lästig.
Die Kammer war dunkel und stickig; da aber das Schiff eben erst aus dem Trockendock kam, hatte sich das übliche Konglomerat von Schiffsdünsten noch nicht wieder darin festgesetzt.
»Wo ist dieses Schreiben?« fragte Hornblower. Seine Stimme hatte vor unterdrückter Erregung einen barschen Klang.
»In meinem Schreibtisch, Sir. Ich bringe es sofort.«
Wie lange das dauerte! Hornblower stand unter dem kleinen Skylight und wartete auf Jones' Rückkehr. Er nahm den versiegelten Umschlag entgegen und wog ihn eine Sekunde in seiner Hand. Diese Sekunde bedeutete wieder einmal einen Übergang, einen Aktwechsel in seinem Leben. Schon die ganzen letzten vierundzwanzig Stunden, die Reise, die ihn hierher geführt hatte, gehörten zu diesem Szenenwechsel, wenn der Übergang auch länger gedauert hatte - immer hörte zu solchen Zeiten das Alte auf, und ein Neues trat an seine Stelle. Vielleicht verwandelten schon die nächsten Tagesstunden die Atropos aus einer müden Hulk auf der Themse in ein gefechtsklares Kriegsschiff mit geladenen Geschützen und Ausguckposten in den Toppen, das stolz die See befuhr und dabei ständig bald dicht hinter der Kimm und bald in nächster Nähe von Abenteuern, Gefahren und Tod umlauert war. Hornblower brach das Siegel mit dem unklaren Anker der Admiralität - wohl dem abwegigsten Emblem, das man sich für eine seebeherrschende Nation ausdenken konnte. Als er kurz aufsah, begegnete er dem Blick seines Ersten Offiziers, der gespannt darauf wartete zu erfahren, welches Schicksal ihnen zugedacht war. Hornblower sagte sich, daß es richtiger gewesen wäre, Jones wegzuschicken, ehe er das Siegel erbrach, aber dazu war es leider zu spät. Jetzt las er die einleitenden Worte, er hätte die ersten sechs, nein, sogar die ersten elf davon auswendig hersagen können:
Sie werden hierdurch ersucht und angewiesen, unmittelbar nach Empfang dieser Order - Jetzt kam der große Augenblick, Hornblower kostete ihn noch eine halbe Sekunde lang aus - dem Blue Mantle Pursuivant of Arms Henry Fallender Exq. im Königlichen Heroldsamt ihre Aufwartung zu machen...
»Gott soll mich bewahren!« stieß Hornblower hervor. »Was soll denn werden, Sir?« fragte Jones atemlos. »Ich weiß es noch nicht«, gab Hornblower zurück.
... um mit ihm die Vorbereitungen zum Leichenbegängnis für den verewigten Vizeadmiral Viscount Nelson durchzusprechen, das auf der Themse stattfinden soll...
»Das ist es also...«, sagte Hornblower.
»Was denn?« fragte Jones, der es vor Neugier nicht mehr aushielt. Aber Hornblower hatte jetzt keine Zeit, ihn ins Bild zu setzen.
Sie erhalten kraft dieser Order die Befehlsbefugnis über alle Offiziere, Mannschaften und Königl. Seesoldaten, die an dem vorerwähnten Leichenzug teilnehmen, desgleichen das Kommando über alle Fahrzeuge, Boote und Staatsbarken, die der City von London, der City von Westminster und deren Gilden gehören. Sie haben in Ihrer Eigenschaft als Befehlshaber alle Anordnungen zu erlassen, die für eine seemännisch einwandfreie Durchführung der Leichenparade erforderlich sind. Die bereits erwähnte Besprechung mit Henry Fallender Esq. soll Sie in die Lage versetzen, alle Erfordernisse des Zeremoniells und der Rangordnung gebührend zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird Ihnen jedoch ausdrücklich und unter voller persönlicher Verantwortung zur Pflicht gemacht, bei allen Maßnahmen die Wetter- und Stromverhältnisse gebührend in Rechnung zu ziehen, so daß nicht nur ein planmäßiger Ablauf der Totenfeier gewährleistet ist, sondern auch jede Gefahr für die vorerwähnten Boote, Staatsbarken und anderen Fahrzeuge sowie jede Schädigung ihrer Mannschaften und Passagiere an Leib und Leben unter allen Umständen
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