Hornblower 05 - Der Kapitän
mußte die Küste sehr steil sein, denn man stand nur noch zwei Meilen vom Lande ab. Immerhin hatte es keinen Zweck, unter vollen Segeln auf Grund zu laufen.
»Lassen Sie die Untersegel festmachen«, ordnete Hornblower an. »Es wird weitergelotet.«
Nur unter Marssegeln glitt die Lydia dem Ziel entgegen. Bald verkündete ein vom Vorschiff herübertönender Ruf, daß man bei hundert Faden Grund gefunden hatte, und dann nahm die Tiefe bei jedem Wurf gleichmäßig ab. Hornblower hätte gern Näheres über die Gezeiten gewußt. Wenn man doch noch auflief, so war das weniger schlimm bei Flut als bei Ebbe. Indessen fehlte ihm die Möglichkeit, Feststellungen zu machen. Um einen besseren Überblick zu gewinnen, enterte er in die Unterwanten des Kreuzmastes. Abgesehen von den Lotenden standen sämtliche Leute der Besatzung ungeachtet der blendenden Hitze starr auf ihren Manöverstationen. Die Fregatte hatte fast die Mündung des Kanals erreicht. Hornblower bemerkte unweit der Schiffsseite einiges Treibholz, und als er das Glas darauf richtete, erkannte er, daß es in die Bucht hin eintrieb. Also hatte die Flut noch nicht ihren Höchststand erreicht. Um so besser.
»Gerade... neun!« sang der Mann am Lot aus.
Na ja, und die Dago-Karte zeigte an dieser Stelle zehn Faden an.
»Sieben... undeinhalb.«
Der Kanal wurde schnell flacher. Vermutlich mußte man aus diesem Grunde bald ankern.
»Siebenundeinhalb.«
Immer noch reichlich Wasser unter dem Kiel. Hornblower rief dem Rudergänger etwas zu, worauf die Lydia nach Steuerbord ab fiel und einer schwachen Biegung der Fahrtrinne folgte.
»Siebenundeinhalb.«
Schön. Die Fregatte blieb auf dem neuen Kurs.
»Gerade... sieben.«
Der Kommandant spähte scharf nach vorn, als könne er den Verlauf der tiefsten Senke erkennen.
»Gerade... sieben.«
Ein Befehl Hornblowers brachte das Schiff etwas dichter ans jenseitige Ufer heran. Ruhig schickte Bush die Mannschaft an die Brassen, um die Rahen für den anliegenden Kurs zu trimmen.
»Siebenundeinhalb.«
Das war besser.
»Gerade neun.«
Noch besser. Die Lydia stand nun schon ein gutes Stück innerhalb der Bucht, und die Flut blieb im Steigen. Man kroch über das glasige Wasser, indessen der Mann am Lot mit monotoner Stimme die gemessenen Tiefen aussang und der steile, in der Mitte der Bay gelegene Kegel näher kam.
»Sieben... dreiviertel.«
»Klar zum Ankern?« fragte Hornblower.
»Alles klar, Sir.«
»Gerade sieben.«
Es lag kein Anlaß vor, noch weiterzusegeln.
»Fallen Anker.«
Die Kette polterte aus der Klüse, während die Wache aufenterte, um die Toppsegel festzumachen. Indessen Hornblower wieder zum Achterdeck zurückkehrte, schwang die Lydia dem Winde und dem Strom entsprechend herum.
Bush starrte seinen Vorgesetzten wie einen Wundertäter an.
Sieben Wochen nach dem Passieren von Kap Hoorn hatte er die Lydia genau zum Ziel geführt; mit der Seebrise und einlaufender Flut war er angekommen, und falls sich Gefahren einstellten, so würde man sich bei Ebbe und Landwind wieder entfernen können. Wie viel war hierbei Glücksfall und wie viel Berechnung? Bush konnte es nicht sagen, aber da er von des Kommandanten seemännischen Fähigkeiten eine höhere Meinung besaß als Hornblower selber, so neigte er dazu, ihm mehr Ruhm zuzugestehen, als er verdiente.
»Die Freiwache kann wegtreten, Mr. Bush.«
Da sich die Fregatte bei geladenen Geschützen weitab jeder unmittelbaren Gefahr befand, bestand keine Notwendigkeit, die ganze Besatzung auf den Gefechtsstationen zu belassen. Sofort ging es wie ein vergnügtes Summen durchs Schiff. Die Leute der Freiwache drängten sich an die Reling und starrten zu den grünen, von grauen Felsen überragten Urwäldern hinüber.
Hornblower war sich nicht ganz über die nächsten Schritte klar.
Die Erregung, in die er durch die Aufgabe versetzt worden war, das Schiff in einen unbekannten Hafen zu steuern, hatte ihn daran verhindert, frühzeitig die weiteren Maßnahmen zu erwägen. Ein Anruf des Ausgucks machte weitere Überlegungen unnötig.
»Boot legt von Land ab. Steuerbord zwei Strich achterlicher als dwars.«
Ein weißer Doppelfleck näherte sich langsam dem Schiff.
Durchs Glas erkannte Hornblower ein offenes Boot, über dem zwei kleine lateinische Segel standen. Nun sah er auch, daß sich ein halbes Dutzend dunkelhäutiger Männer an Bord befand. Sie trugen breitkrempige Strohhüte. Fünfzig Meter entfernt drehte das Fahrzeug bei. Am Heck des Bootes stand jemand auf, legte
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