Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
angehalten hätte, dann würden sie noch eine oder vielleicht sogar zwei Seemeilen zurückgelegt haben und sich in größerer Sicherheit befinden. An Backbord lag Noirmoutier und die Küste hinter dem Heck. Durch die Nebelfetzen hindurch konnte Hornblower die Umrisse der Signalstation auf dem Festland erkennen. Vor sechzehn Jahren hatte er als Zweitkommandierender dem Landungskorps angehört, das der Admiral Pellew zur Vernichtung der Station entsandt hatte. Mittlerweile waren die Inseln sämtlich schwer armiert worden, was eine Folge der unaufhörlichen englischen Handstreiche darstellte. Er schätzte den Abstand von Noirmoutier. Noch befanden sie sich jedenfalls außerhalb der Schussweite der schweren Geschütze, aber die Gezeitenströmung konnte sie mit Leichtigkeit näher herantreiben. Nach allem, was er noch von den örtlichen Eigenheiten dieser Gewässer wusste, hielt Hornblower es sogar für möglich, daß sie in die Bucht von Bourgneuf getrieben wurden.
»Brown!« rief er scharf. »Wecken Sie die Leute und lassen Sie sie mit den Riemen arbeiten.«
Beiderseits jedes Geschützes befanden sich Dollen; ein halbes Dutzend auf jeder Schiffsseite. Brown wies seiner schafsäugigen Mannschaft die Plätze an und zeigte ihr, wie sie die mächtigen Riemen ausbringen musste.
«Eins - zwei - drei... pull!« brüllte der Bootsmann.
Die Männer legten sich mit ihrem Körpergewicht ins Zeug, aber wirkungslos glitten die Ruderblätter durchs stille Wasser.
»Eins - zwei - drei... pull! Eins - zwei - drei... pull!« Immer mehr geriet Brown ins Feuer. Er gestikulierte, rannte von einem zum anderen und schlug mit seinem ganzen Körper den Takt.
Allmählich begann der Kutter wieder Fahrt zu machen, und sobald dies geschah, strichen auch die Riemen wirkungsvoller durchs Wasser.
»Eins - zwei - drei... pull!«
Es schadete nichts, daß Brown seine Kommandos auf englisch gab, denn missverstanden konnte er nicht werden, zumal die krampfartigen Bewegungen seines kraftvollen Körpers die Erläuterung dazu gaben.
»Pull!«
Die Galeerensträflinge suchten mit den Füssen Halt an Deck, während sie durchzogen. Browns Enthusiasmus war ansteckend, so daß sogar der eine oder andere einen heiseren Ruf ausstieß, wenn er sich zurückbeugte. Der Kutter bewegte sich merkbar.
Bush legte das Ruder herum, fühlte, wie das Ruderblatt Widerstand fand, und führte die Witch of Endor auf ihren alten Kurs. Zum Klappern der Blöcke hob und senkte sie sich in der schwachen Dünung.
Von den arbeitenden Männern fort blickte Hornblower über die ölige See. Wenn ihm das Glück hold gewesen wäre, so hätte er vielleicht das eine oder andere Schiff des Blockadegeschwaders dicht unter Land antreffen können.
Mitunter drangen sie bis zwischen die Inseln vor, um Bonaparte zu reizen. Heute aber war weit und breit kein Segel in Sicht. Er sah zu den drohenden Umrissen der Insel Noirmoutier hinüber, ob sich dort etwas Lebendes blicken ließe. Gerade in diesem Moment regten sich drüben auf dem Festland die Arme des galgenartigen Semaphors und blieben in der›Achtung‹-Stellung stehen. Weiter erfolgte zunächst nichts, so daß Hornblower annahm, die Station habe sich nur klar gemeldet zum Empfang einer Meldung, die von einer anderen, irgendwo weiter landeinwärts gelegenen Stelle übermittelt werden sollte. Auch den Inhalt dieser Meldung glaubte er zu erraten. Jetzt fingen die Arme an zu signalisieren. Ruckweise regten sie sich vor dem blauen Himmel. Vermutlich handelte es sich um eine kurze Antwort. Es folgte eine Pause, und dann sah Hornblower, daß das Semaphorgestell geschwenkt wurde, so daß er es von vorn sehen konnte, während es ihm bisher die Seitenansicht dargeboten hatte. Unwillkürlich richtete er den Blick nach Noirmoutier, wo soeben die kleine, an der Mastspitze hängende Flagge zum Zeichen, daß man den Anruf verstanden habe, gedippt wurde. Noirmoutier war klar, um Befehle von Land aus zu empfangen. Schon fing das Gezappel der Semaphorarme von neuem an, und nach jedem Satz gab die Flagge das Bestätigungszeichen.
Unterhalb des Flaggenmastes von Noirmoutier schoss weißer Rauch hervor, der sich sofort zu einem dicken Ballen formte, und dann stiegen nacheinander vier Wassersäulen von der glasigen Meeresoberfläche empor. Mehrfach abprallend war eine Kugel darüber hingefegt. Dumpf hallte das Dröhnen des Abschusses herüber. Die nächste Fontäne war etwa siebenhundert Meter weit vom Kutter entfernt. Man befand sich also weit außerhalb
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