Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Zustand zu klammern. Irgend jemand schüttelte ihn behutsam bei der Schulter, und dann richtete sich Hornblower mit einem Ruck auf. Der Sekretär des Admirals beugte sich über ihn.
»Der Herr Admiral wird binnen einer Stunde speisen«, sagte er. »Der Chef des Stabes meinte, Sie würden gern ein wenig Zeit haben, sich vorzubereiten.«
»Ja«, knurrte Hornblower. Unwillkürlich befühlte er sein stoppeliges Kinn. »Ja...«
Da der Sekretär jedoch in seltsam steifer Haltung verharrte, sah er etwas befremdet zu ihm auf. Der Mann hatte einen eigentümlich verschlossenen Gesichtsausdruck und hielt eine Zeitung in der Hand, die er nur unvollkommen hinter dem Rücken verbarg. »Was ist los?« wollte Hornblower wissen.
»Schlechte Nachrichten habe ich für Sie, Sir.«
»Was für Nachrichten?«
Hornblower verfiel in tiefe Niedergeschlagenheit. Vielleicht hatte Gambier seine Meinung geändert. Vielleicht sollte er unter strenger Haft seiner Verurteilung und Erschießung entgegensehen. Vielleicht...
»Mir fiel ein, daß ich vor drei Monaten diese Meldung in der Morning Chronicle fand, Sir«, sagte der Sekretär. »Ich zeigte sie Seiner Lordschaft und dem Herrn Kapitän Calendar. Sie meinten, ich müsse sie Ihnen so bald wie möglich bringen. Seine Lordschaft sagten...«
»Was steht drin?« fragte Hornblower und streckte die Hand nach dem Blatt aus.
»Schlimme Nachrichten, Sir«, wiederholte der junge Mann zögernd.
»Her damit, verdammt noch mal!«
Der Sekretär reichte ihm die Zeitung und deutete mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle. »Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen«, murmelte er. »Der Name des Herrn sei gelobt.«
Es handelte sich nur um eine kurze Mitteilung:
Wir bedauern das Ableben von Mrs. Maria Hornblower, der Witwe des verstorbenen Kapitäns Horatio Hornblower, der als Opfer Bonapartes zum Märtyrer wurde. Sie starb in ihrer Wohnung in Southsea nach der Geburt ihres Kindes. Dieses - es ist ein prächtiger Junge - befindet sich wohl.
Zweimal las Hornblower die wenigen Zeilen, und dann begann er ein drittes Mal. Maria war tot; Maria, die sanfte und liebende Frau.
»Sie werden Trost finden im Gebet, Sir«, sagte der Sekretär, aber Hornblower achtete nicht darauf, was der Sekretär sagte.
Er hatte Maria verloren. Im Kindbett war sie gestorben, und wenn man die Umstände berücksichtigte, unter denen das Kind gezeugt worden war, musste er sich sagen, daß er die Schuld am Tode Marias trug. Nun hieß ihn drüben in England überhaupt niemand mehr willkommen. Während der kriegsgerichtlichen Verhandlungen würde Maria ihm zur Seite geblieben sein und niemals an eine Verfehlung seinerseits geglaubt haben.
Hornblower entsann sich der Tränen, die über ihre unschönen Wangen gelaufen waren, als sie beim Abschiednehmen die Arme um ihn schlang. Damals war ihm die etwas rührselige Szene peinlich gewesen. Nun also war er frei. Wie ein plötzlicher kalter Wasserguss im warmen Bad berührte ihn die Erkenntnis. Nein, es war nicht anständig empfunden gegenüber Maria. Um solchen Preis würde er sich diese Freiheit niemals erkauft haben. Durch ihre Liebe und Fürsorglichkeit hatte sie Anspruch auf seine Güte erworben, und ohne zu klagen, hätte er darum bis zum Ende seines Lebens bei ihr ausgeharrt.
Unendlich nahe ging ihm ihr Hinscheiden.
Er vernahm die Stimme des Sekretärs. »Seine Lordschaft beauftragte mich, Ihnen sein tiefempfundenes Beileid zu Ihrem schweren Verlust auszusprechen, Sir. Er lässt Ihnen auch sagen, daß er es Ihnen keineswegs verübeln würde, wenn Sie es vorzögen, unter diesen Umständen lieber in Ihrer Kammer zu verbleiben, als sein Gast zu sein.«
»Ja«, sagte Hornblower.
»Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, Sir...«
»Nein.«
Gebeugten Hauptes saß er auf dem Rand seiner Koje. Der Sekretär räusperte sich.
»Gehen Sie«, sagte Hornblower, ohne aufzublicken.
Geraume Weile blieb er so sitzen, ohne Ordnung in seine Gedanken bringen zu können. Eine fortdauernde Unterströmung der Traurigkeit durchzog sein Gemüt, ein wundes Gefühl, das sich kaum von körperlichen Schmerzen unterscheiden ließ, aber die Müdigkeit, die Erregung und der Mangel an Schlaf beraubten ihn der Möglichkeit des klaren Denkens. Endlich riss er sich mit verzweifelter Anstrengung zusammen. Ihm war, als müsse er in der engen Kammer ersticken. Ekelhaft war ihm sein Stoppelbart und dieser angetrocknete Schweiß.
»Mein Bursche soll kommen«, befahl er dem vor der Tür stehenden
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