Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Posten.
Gut tat es, den schmutzigen Bart zu rasieren, den Körper in kaltem Wasser zu waschen und frische Wäsche anzuziehen. Er begab sich an Oberdeck und zog tief die reine Seeluft in seine Lungen. Auch dies empfand er wohltuend, auf einem Deck hin und her gehen zu können; hin und her... hin und her, zwischen den Gleitbahnen der auf der Kampanje stehenden Karronaden und der Linie der in das Holz eingelassenen Ringbolzen. Wie ein Wiegenlied wirkten alle die vertrauten Geräusche des Bordlebens auf seine ermüdeten Sinne. Hin und her wanderte er, hin und her, wie er es so viele Stunden seines Daseins hindurch getan hatte; damals an Bord der Indefatigable , der Lydia und schließlich der Sutherland . Man störte ihn nicht. Die dienstfreien Offiziere blieben auf der anderen Seite des Schiffes und beobachteten nur verstohlen diesen Mann, der gerade die Todesnachricht seiner Frau empfangen hatte und sich wegen der Übergabe der Sutherland verantworten sollte. Seit Kapitän Ferris bei Algeciras die Flagge der Hannibal niederholen ließ, war es das erstemal gewesen, daß ein britisches Linienschiff kapitulierte. Hin und her wanderte Hornblower. Die wohltätige Müdigkeit kam abermals über ihn und lähmte seinen Geist, bis er merkte, daß er kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Dann erst ging er unter Deck, um im nunmehr sicheren Schlaf Vergessenheit zu finden. Doch selbst bis in den Schlummer hinein verfolgten ihn quälende Vorstellungen, mit denen er in Schweiß gebadet rang. Er sah Maria vor sich und wusste doch, daß ihr Körper sich seit langem in Auflösung befand. Alpdruckartige Träume von Gefangenschaft und Tod bedrückten ihn, und immer wieder erschien jenseits alles Grauens die lächelnde Barbara.
In einer Hinsicht erwies sich während dieser Tage des Wartens der Tod Marias als günstig. Er bot ihm die willkommene Möglichkeit, schweigsam und unnahbar zu bleiben. Ohne für unhöflich gehalten zu werden, konnte er sich einen Streifen des Oberdecks aussuchen und einsam im Sonnenschein auf und nieder wandern. Zuweilen befanden sich Gambier und sein Chef des Stabes in der Nähe, kleine Gruppen plaudernder Offiziere und Deckoffiziere bildeten sich, aber sie alle gingen ihm aus dem Wege, und man nahm es ihm nicht übel, daß er schweigend an der Admiralstafel saß und den Andachten des Admirals fern blieb.
Andernfalls wäre er genötigt gewesen, sich dem lebhaften geselligen Leben des Flaggschiffes anzupassen und sich mit den Offizieren zu unterhalten, die es peinlich vermieden haben würden, darauf anzuspielen, daß sie demnächst über ihn zu Gericht sitzen mussten. Er brauchte sich nicht an den häufigen, maritime Dinge betreffenden Diskussionen zu beteiligen und dabei den Anschein zu erwecken, als trüge er leicht an der Verantwortung, ein britisches Linienschiff dem Feind übergeben zu haben. Ungeachtet aller Rücksichtnahme, die man ihm gegenüber zeigte, kam er sich als Ausgestoßener vor. Calendar mochte ihm offen seine Bewunderung ausdrücken, Gambier ihn mit Auszeichnung behandeln, die jungen Leutnants konnten ihn zum Gegenstand ihrer Heldenverehrung machen; sie alle hatten niemals ihre Flagge niedergeholt. Mehrmals während seiner langen Wartezeit ertappte sich Hornblower bei dem Wunsch, eine Kanonenkugel möchte damals auf der Kampanje der Sutherland seinem Leben ein Ende gemacht haben. Jetzt gab es überhaupt auf der ganzen weiten Welt niemanden mehr, der sich etwas aus ihm machte. Vielleicht wuchs drüben in England sein kleiner Sohn in der Obhut einer Pflegemutter auf und schämte sich des Namen, den er trug.
In geradezu krankhafter Weise bildete er sich ein, daß die anderen ihn am liebsten jetzt schon als Paria behandelt hätten.
Widerwillen empfand er gegen sie, und es bereitete ihm ein bitteres Gefühl des Stolzes, sich selbst zu einem Ausgestoßenen zu stempeln. Alle Stufen dieser Gemütszerrüttung musste er einsam und ohne jede Gesellschaft durchmachen, bis endlich Hood mit der Britannia erschien, um das Kommando zu übernehmen, und die Victory unter dem Donner des Abschiedssaluts die Heimreise nach Portsmouth antrat.
Gegenwind hemmte ihr Fortkommen. Sieben lange Tage benötigte sie zum Durchsegeln des Kanals, ehe sie endlich Spithead erreichte und der Anker aus der Klüse rasselte.
Hornblower saß in seiner Kammer. Ihn interessierten weder die Hügel der Isle of Wight noch der Anblick der vom Leben durchpulsten Stadt Portsmouth. Es klopfte an die Tür.
Hornblower nahm an,
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