Hornblower 08 - Der Kommodore
Hornblower. »Der Gegner ist mit starken Kräften angetreten, offenbar hat er versucht, uns zu überraschen. Wenn er Erfolg hat, spart er zwei Tage.« Unten erhob sich neuer Gefechtslärm.
Das Landungskorps war auf den ersten Widerstand gestoßen, und nun flammte auch in dem dunklen Ufergelände ein ganzes Muster zuckender Blitze auf. Die Schlacht entbrannte immer heftiger und dort, wo Angriff, Gegenangriff und Flankenangriff zusammenstießen, war ihr Brennpunkt. Der Tag begann allmählich zu grauen, jedenfalls war es schon hell genug, um zu unterscheiden, daß Clausewitz heute nicht so adrett aussah, wie man es sonst an ihm gewohnt war. Er war unrasiert, und seine Uniform war ganz zerdrückt und voller Stroh. Vom Gefecht selbst war immer noch nichts zu erkennen, man sah im Halbdunkel nur die undeutlichen Umrisse ziehender Qualmwolken. Unwillkürlich dachte Hornblower an die Verse in Campbells ›Hohenlinden‹ , in denen der Dichter schildert, wie der flache Strahl der Morgensonne das dunkle Schlachtengewölk vergebens zu durchdringen versucht. Aber das Knattern der Gewehre und der Donner der Artillerie verkündeten deutlich genug, wie hart das Ringen war. Einmal hörte Hornblower kräftiges Geschrei aus vielen tiefen Männerkehlen, dem ein wildes Geheul antwortete.
Wahrscheinlich war da irgendein Angriff auf einen Gegenangriff gestoßen. Immer heller und deutlicher wurde das Bild, und nun begannen allmählich die Meldungen einzulaufen.
»Schewstow hat die Batterie gestürmt, die das Ufer decken soll«, sagte Clausewitz freudig erregt.
Schewstow war der General, der das Landungskorps befehligte. Wenn er die Batterie gestürmt hatte, dann konnten sich die Bootsbesatzungen ungestört aus der Bucht zurückziehen. Die Ankunft seines Melders hier in Dünamünde bedeutete überdies, daß er bereits Fühlung mit der Verteidigung hatte, es war also anzunehmen, daß ihm die Durchführung seiner Aufgabe, die französische Flanke einzudrücken, gelungen war.
Das Feuer schien jetzt schwächer zu werden, aber der Rauch, der sich nun mit dem herbstlichen Bodennebel vermischte, verbarg noch immer alle Vorgänge dem Blick. »Kladow ist in die Sappen eingedrungen«, fuhr Clausewitz fort. »Seine Arbeitsgruppen zerstören die Gräben und Brustwehren.« Der Gefechtslärm lebte wieder auf, Mündungsfeuer war jedoch nicht mehr zu sehen, dazu war es schon zu hell. Offenbar tobte jetzt da draußen ein Kampf auf Leben und Tod. Die Vorgänge hielten den Stab auf der Galerie so in Spannung, daß die Ankunft des Gouverneurs kaum Beachtung fand. Alle starrten in den Qualm hinaus und suchten irgend etwas zu erkennen. Mit einigen schnellen Fragen hatte Essen von Clausewitz alles Nötige erfahren und wandte sich dann an Hornblower.
»Ich wollte eigentlich schon vor einer Stunde hier sein«, sagte er, »aber der Eingang einiger wichtiger Depeschen hat mich aufgehalten.« Das massige Gesicht des Generals von Essen verriet düsteren Ernst. Er nahm Hornblower am Arm und zog ihn außer Hörweite der jüngeren Stabsoffiziere. »Schlechte Nachrichten?« frage Hornblower.
»Leider die allerschlimmsten. Wir haben vor Moskau eine große Schlacht verloren, Bonaparte ist in die Stadt eingedrungen.«
Das war allerdings die schlimmste Nachricht, die man sich denken konnte. Hornblower konnte sich vorstellen, daß die künftigen Geschichtsschreiber diese Schlacht zu den großen Entscheidungen zählen würden, wie sie schon bei Marengo, bei Jena und bei Austerlitz gefallen waren, zu den Schlägen, die einer ganzen Nation den Todesstoß versetzten. Und die Besetzung von Moskau spielte wohl eine ähnliche Rolle wie der Einmarsch in Wien und Berlin. Noch eine oder zwei Wochen weiter, dann bat Rußland um Frieden, wenn es nicht jetzt schon so weit war, und dann - stand England allein gegen eine ganze Welt in Waffen. Wen gab es dann noch auf dem ganzen weiten Erdenrund, der Bonapartes List und Bonapartes Macht Widerstand zu leisten vermochte? Vielleicht die britische Flotte?
Hornblower zwang sich, den Schlag gelassen hinzunehmen, er wollte nicht, daß man ihm etwas von der Bestürzung anmerkte, die ihn bei dieser Nachricht gepackt hatte. »Wir werden uns dadurch nicht irremachen lassen«, sagte er. »Nein«, sagte Essen, »meine Leute werden kämpfen bis zum letzten Mann. Und die Offiziere nicht minder.«
Bei diesen Worten deutete er mit einer Kopfbewegung auf Clausewitz. Dabei sah es fast aus, als verzöge er sein Gesicht zu einem Grinsen. Ja, von dem Mann
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