Hornblower 09 - Lord Hornblower
aus«, meinte Hornblower und schüttelte verwundert den Kopf. »Meine Augen sind leider schon so schwach, daß ich überhaupt keine Flagge erkennen kann«, sagte der Graf etwas wehmütig. Hornblower wandte sich im Sattel nach Brown um, der hinter ihnen ritt und nicht müde wurde, Annette Trost und Mut zuzusprechen. »Das ist eine weiße Flagge, dort auf dem Palast, Mylord.«
»Es scheint kaum glaubhaft«, sagte der Graf. »Meine Nachricht von heute morgen stammte nämlich aus Nevers.
Beauregard, der Präfekt, hat sich sofort für Bonaparte erklärt.«
Das war in der Tat seltsam - es blieb sogar seltsam, wenn man annahm, daß irgendein Versehen vorlag.
»Wir werden ja bald Bescheid wissen«, sagte Hornblower. Er unterdrückte die natürliche Regung, seinem Gaul die Sporen zu geben und aus dem Trab in Galopp überzugehen.
Die weiße Flagge flatterte immer noch an ihrer Stange, als sie sich der Stadtgrenze näherten. Am Akzisentor stand eine Handvoll Soldaten in schmucken grauen Uniformen, ihre Grauschimmel waren hinter ihnen angekoppelt.
»Das sind die grauen Musketiere der königlichen Leibgarde«, sagte Marie.
Auch Hornblower erkannte die Uniformen wieder. Er hatte diese Truppen als Leibwache des Königs sowohl in den Tuilerien wie in Versailles gesehen.
»Graue Musketiere tun uns kein Leid an«, sagte der Graf. Der Unteroffizier der Wache spähte ihnen scharf entgegen, während sie heranritten, zuletzt vertrat er ihnen den Weg und fragte sie nach ihren Namen.
»Louis Antoine Hector Savinien de Ladon, Comte de Gracay, mit Gefolge«, sagte der Graf.
»Sie können passieren, Herr Graf«, sagte der Unteroffizier.
»Ihre Königliche Hoheit ist in der Präfektur.«
»Welche Königliche Hoheit?« murmelte der Graf verwundert vor sich hin. Auf dem Hauptplatz hielten einige Dutzend aufgesessene Reiter vom Regiment der grauen Musketiere. Hier und dort wehten ein paar weiße Flaggen, und als sie auf den Platz einritten, tauchte gerade im Tor der Präfektur ein Mann auf und machte sich daran, ein gedrucktes Plakat an die Wand zu kleben. Sie ritten herzu, um es zu lesen. Das erste Wort war schon von weitem leicht zu erkennen, es lautete: Franzosen! Als sie gelesen hatten, meinte der Graf:
»Ihre Königliche Hoheit ist also die Herzogin von Angouleme.« Der Aufruf wandte sich an alle Franzosen mit der Aufforderung, gegen den Tyrannen und Thronräuber zu den Waffen zu greifen und dem alten Königshaus Bourbon die Treue zu halten. Der König stand nach den Worten des Anschlages in Waffen bei Lille, der Süden Frankreichs hatte sich unter dem Herzog von Angouleme zum Widerstand erhoben, und ganz Europa setzte seine Armeen in Marsch, um das menschenfressende Ungeheuer wieder in Fesseln zu schlagen und dem Vater seines Volkes den Thron seiner Ahnen zurückzugeben. In der Präfektur empfing sie die Herzogin mit großer Freude. Ihre schönen Züge waren von Müdigkeit ganz entstellt, sie trug immer noch ihr schmutzbespritztes Reitkleid.
Die ganze Nacht war sie mit ihrer Schwadron Musketiere durchgeritten und, der Proklamation Bonapartes dicht auf den Fersen, aus einer anderen Richtung in der Stadt eingetroffen.
»Man hat sich hier schnell genug entschlossen, ein zweites Mal die Seite zu wechseln«, sagte die Herzogin. Nevers war keine Garnison und barg daher auch keine Truppen. Deshalb war sie mit ihren hundert ausgebildeten Musketieren in der kleinen Stadt sofort und ohne Blutvergießen Herrin der Lage gewesen. »Ich war gerade im Begriff, Sie zu mir zu bitten, Monsieur le Comte«, fuhr die Herzogin fort. »Daß wir das außerordentliche Glück haben würden, auch Lord Hornblower hier zu finden, konnten wir allerdings nicht ahnen. Ich möchte Sie zum Generalleutnant Seiner Majestät des Königs für das Nivernais ernennen, Herr Graf.«
»Glauben Eure Königliche Hoheit, daß eine Volkserhebung Erfolg haben könnte?« fragte Hornblower.
»Eine Volkserhebung?« Aus dieser Gegenfrage der Herzogin war verständnisloses Staunen herauszuhören.
Damit war aber für Hornblower das Urteil gesprochen. Die Herzogin war die klügste und tatkräftigste Persönlichkeit der ganzen Bourbonenfamilie. Und doch war auch sie nicht imstande, sich die Bewegung, die sie selbst entfesseln wollte, als »Volkserhebung« vorzustellen. Bonaparte war für sie nach wie vor ein Rebell, und sie sah ihre Aufgabe darin, die Rebellion zu unterdrücken, die er entfesselt hatte. Daß Bonaparte in Wirklichkeit in den Tuilerien regierte, daß die Armee ihm
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