Hornblower 09 - Lord Hornblower
der Länge nach, das leichte Holzwerk einer Brigg vermochte ihrer Kraft kaum besser Einhalt zu gebieten als Papier. Wie ein Schwimmer sich in einen reißenden Strom stürzt, den er zu durchschwimmen hat, so warf sich Hornblower jetzt mit aller Kraft darauf, zu tun, was unbedingt sofort geschehen mußte.
»Brown! Sorge mir dafür, daß sofort alle Luken geschalkt werden!« befahl er. »Jedes Luk wird mit einem Posten besetzt.
Mr. Gibbons!«
»Sir?«
»Schalken Sie ihre Luken! Klar zum Segelsetzen!«
»Aye, aye, Sir.«
»Die Toppsgäste her! An die Fallen! Wer kann das Ruder übernehmen? Was? Keiner von euch? Mr. Gibbons, haben Sie einen Rudergänger übrig? Schicken Sie ihn sofort herüber. Mr. Freeman! Sie können loswerfen und Segel setzen. Treffpunkt ist die andere Prise.« Wieder krachte ein Schuß von den verfluchten Kanonenbooten gerade unter ihm in das Heck der Flame. Gott sei Dank war der Wind ablandig, so daß man leicht aus ihrer Reichweite gelangen konnte. Die Porta Coeli hatte bereits ihr Gaffelgroßsegel gesetzt und war auch schon frei von der Bonne Celestine. Auf dieser stieg gerade unter Gibbons Leitung das Luggergroßsegel am Mast hoch, wahrend ein halbes Dutzend Seeleute bereits dabei war, sie von der Flame abzusetzen.
»Heiß vor!« befahl Hornblower, als sich die Schiffe voneinander trennten. »Rudergänger! Hart Steuerbord!«
Ein Geräusch außenbords erregte seine Aufmerksamkeit.
Einzelne Leute - Meuterer oder Franzosen - zwängten sich durch die Schußlöcher - stürzten sich ins Wasser und schwammen auf die Kanonenboote zu. Hornblower sah Nathaniel Sweet in zwanzig Fuß Entfernung mit kräftigen Stößen davonschwimmen, seine weißen Haarsträhnen schleppten im Wasser nach. Von allen Meuterern durfte er am wenigsten entkommen. Wenn einer sterben mußte, war er es, um Englands willen, um der Flotte willen. Der Wachtposten am achteren Niedergang machte ihm nicht gerade den Eindruck eines Scharfschützen.
»Gib mir dein Gewehr«, sagte Hornblower und riß es ihm auch schon aus der Hand.
Während er wieder an die Reling eilte, prüfte er noch rasch Zündladung und Schloß der Waffe. Dann zielte er sorgfältig auf den weißen Kopf im Wasser und drückte ab. Der Wind trieb ihm den Qualm in die Augen, nahm ihm aber nur für einen Augenblick die Sicht. Als der Blick wieder frei war, sah er das lange, weiße Haar noch eine Sekunde an der Oberfläche, dann sank es langsam unter und verschwand. Sweet war tot.
Vielleicht lebte irgendwo in England eine alte Frau, die nun Witwe war und weinte, wenn sie von seinem Ende erfuhr. Aber es war dennoch besser, daß er tot war. Hornblower ging wieder an seine Aufgabe, die Flame an den befohlenen Treffpunkt zu bringen.
8. Kapitel
Eigentlich eine tolle Unverschämtheit von diesem Lebrun, kurzerhand um eine Unterredung zu bitten! Hornblower hatte wirklich auch so schon genug um die Ohren. Da mußten die klaffenden Schußlöcher in der Bordwand der Flame wenigstens so weit gedichtet werden, daß das Schiff ohne Gefahr den Kanal überqueren konnte, da war die knappe Besatzung der Porta Coeli, die keineswegs durch die Bank aus Seeleuten bestand, auf nicht weniger als vier Schiffe zu verteilen (die zwei Briggs, den Indienfahrer und den französischen Logger), während doch gleichzeitig für die über hundert Gefangenen dieser und jener Herkunft unbedingt genügend Wachmannschaften gestellt werden mußten. Vor allem war es nötig, die Meuterer genauestens zu überwachen, damit nichts geschehen konnte, was dem Gerichtsverfahren Vorgriff. Und zu alldem kam noch das Schlimmste, das war der ausführliche Bericht, den er zu schreiben hatte. Man möchte meinen, gerade diese letzte Aufgabe müßte ihm ganz besonders leicht von der Hand gegangen sein, da ja wirklich nur eine lange Kette von Erfolgen zu melden war. Hatte er denn nicht zwei Prisen aufgebracht und den Meuterern die Flame abgenommen? Lag nicht der größte Teil der Bande sicher in Eisen unter Deck, und hatte er nicht endlich den Rädelsführer mit eigener Hand niedergeschossen?
Gewiß, das alles war gut zu berichten, aber es kostete doch Mühe, körperliche Anstrengung. Und Hornblower war todmüde.
Übrigens war die Abfassung dieses Berichtes doch nicht so ganz einfach, wie es auf den ersten Blick schien. Hornblower sah nämlich jetzt schon voraus, daß es ihm nicht leicht fallen werde, zwischen der Scylla unverhohlener Prahlerei und der Charybdis verlogener Bescheidenheit ungefährdet hindurchzusteuern
Weitere Kostenlose Bücher