Hornblower 09 - Lord Hornblower
Umständen richtigen Schlaf fand, aber bei der allgemein herrschenden Aufregung und freudigen Erwartung hätten sie wahrscheinlich auch in den Daunenbetten eines Palastes kein Auge zugetan. Hornblower jedenfalls gab den Versuch einzuschlafen sehr bald auf, nachdem er sich eine Zeitlang vergeblich bemüht hatte, seine aufgeregten Gedanken zur Ruhe zu bringen. Er hatte sich seine Hängematte an Deck aufhängen lassen. (Seit der Überholung der Lydia, damals auf der Insel Coiba, hatte er in keiner Hängematte mehr geschlafen.) Nun lag er mit offenen Augen und blickte zum Nachthimmel hinauf, wenn ihn nicht ab und zu ein scharfer Regenschauer dazu zwang, sich die Persenning über den Kopf zu ziehen, die ihm als Schutz gegen die Unbilden des Wetters diente. Solange er wach lag, konnte er sich wenigstens davon überzeugt halten, daß der Westwind durchstand, wie man es in dieser Jahreszeit erwarten durfte. Hätte der Wind abgeflaut oder seine Richtung geändert, dann wären sie genötigt gewesen, die Reise nach Rouen mit den Schiffsbooten fortzusetzen, jedenfalls hatte er sich mit diesem Gedanken schon vertraut gemacht. Das fiel also weg. Im Gegenteil, die Morgendämmerung brachte sogar noch ein Auffrischen der westlichen Brise, dazu allerdings auch mehr Regen. Zwei Stunden nach Hellwerden setzte dann auch die Flut ein, und Hornblower konnte den Befehl zum Ankerlichten geben. An der nächsten Flußbiegung trat die Kathedrale von Rouen frei vor den Blick, an der übernächsten waren die Schiffe von der Stadt nur noch durch eine verhältnismäßig schmale Landzunge getrennt, die sie in einem langen, herrlich schönen Bogen umfuhren. Der Nachmittag war noch nicht weit vorgeschritten, als sie endlich auch diese letzte Biegung des Stromes hinter sich hatten und die Stadt in ihrer ganzen Größe vor ihnen ausgebreitet lag: die Insel mit ihren Brücken, die Bollwerke mit den zahllosen Flußschiffen, die Markthalle jenseits des Kais und die himmelstürmenden gotischen Türme, die schon der Verbrennung der Jungfrau von Orleans als Zeugen zugesehen hatten. Die Aufgabe, die Schiffe genau vor der Stadt zu Anker zu bringen, während noch die letzte Flut lief, war alles andere als einfach. Hornblower machte sich eine kleine Krümmung des Fahrwassers zunutze, um alle Segel backzusetzen und den Heckanker fallen zu lassen. Der Ankerplatz lag zwei Kabellängen weiter von der Stadt entfernt, als er ihn unter anderen Wind- und Stromverhältnissen gewählt hätte. Nun musterte er die Stadt aufmerksam durch das Glas und hielt Ausschau nach Anzeichen, die auf das Erscheinen einer Begrüßungsabordnung schließen ließen. Der Herzog stand neben ihm, er war ungnädiger Laune und neigte dazu, jede Verzögerung persönlich übelzunehmen. »Mr. Freeman, lassen Sie bitte ein Boot für mich klarmachen«, sagte Hornblower nach einer Weile. »Und schicken Sie nach meinem Bootssteuerer.«
Schon drängte sich das Volk auf den Kais, um neugierig nach den englischen Schiffen mit der Kriegsflagge und dem Lilienbanner der Bourbonen Ausschau zu halten. Zwanzig Jahre hatte man diese Flagge nicht mehr zu Gesicht bekommen. Eben unterhalb der Brücke, dort wo Brown mit dem Boot längsseits schob, standen die Leute schon Kopf an Kopf. Unter einem Kreuzfeuer von Blicken stieg Hornblower die Treppe vom Bootssteg hinauf. Aber man hörte keinen Laut, und die Menschen machten einen apathischen Eindruck, jedenfalls zeigten sie nichts von dem französischen Temperament, dem er anderswo bei Massenansammlungen ihrer Landsleute noch stets begegnet war. Mitten im Gedränge stand ein Mann in Uniform, anscheinend ein Sergeant der Douaniers. Den faßte Hornblower ins Auge. »Ich möchte den Bürgermeister aufsuchen«, sagte er zu ihm. »Jawohl, Monsieur«, gab der Zöllner höflich zur Antwort. »Holen Sie mir einen Wagen herbei«, sagte Hornblower. Dieses Ansinnen verursachte zunächst verlegenes Zögern, der Zöllner sah sich unsicher um. Aber bald wurden aus der Menge Vorschläge laut, und es dauerte gar nicht lange, bis ein ratternder Landauer auf der Bildfläche erschien. Hornblower kletterte hinein, und das Gefährt rumpelte mit ihm davon. Der Bürgermeister empfing ihn auf der Schwelle des Rathauses, er war ihm in größter Hast aus seinem Amtszimmer dorthin entgegengeeilt, als er von seiner Ankunft erfuhr.
»Ich frage Sie nach dem Empfang für Seine Königliche Hoheit«, begann Hornblower. »Ich bin äußerst erstaunt...
Warum ist kein Salut geschossen worden? Warum
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