Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
vorbereitet. Er zwang sich, seine Antwort so zu geben, wie es einem Ehrenmann anstand, so unbewegt, so aufrichtig, daß niemand etwas von seiner Verzweiflung ahnen konnte.
Hatte er doch von Anfang an gewußt, daß ihm Cambronne sein Ehrenwort abverlangen würde. Dies war das letzte, das größte Opfer, das er bringen konnte. In zwanzig Jahren Kriegsdienst hatte er für England freudig sein Leben eingesetzt, Gefahren, Nöte, Hunger auf sich genommen - aber seine Ehre zu opfern, das hätte wohl niemand von ihm verlangt. Heute war es soweit, es war der höchste Preis, den er zu entrichten hatte. Durch seine Schuld war der Weltfriede in Gefahr gekommen. Was wog die Ehre eines einzelnen Mannes am Ende gegen den Frieden der ganzen Welt, gegen die Rettung Englands vor der Wiederkehr jener tödlichen Bedrohung, der es nach zwanzigjährigem Ringen mit knapper Not entgangen war? In diesen letzten glücklichen Jahren, als er nach langem, hartem Kampf heimgekehrt war, hatte er sich im Lande umgesehen, hatte er englische Luft geatmet und dabei immer wieder begeistert empfunden, daß für sein geliebtes England wahrlich kein Opfer zu groß war. Also war dieses England wohl auch die Ehre eines Mannes wert.
Gewiß, daran gab es keinen Zweifel. Aber es war eben doch herzzerreißend, es war viel, viel schlimmer als das Sterben, daß es gerade seine Ehre war, deren Opferung das Schicksal von ihm verlangte.
Inzwischen hatte sich eine Anzahl Offiziere an Deck eingefunden, sie scharten sich um Cambronne und lauschten gespannt auf jedes seiner Worte. Auch der amerikanische Kapitän und sein Steuermann waren herzugetreten. Ihnen allen stand Hornblower ganz allein gegenüber und wartete, seine reichbestickte Admiralsuniform glitzerte in der Sonne. Der Offizier zu Cambronnes Rechten nahm als nächster das Wort. Er war eine Art Adjutant oder Generalstabsoffizier, einer von jener Menschensorte, die Hornblower am wenigsten ausstehen konnte. Natürlich, wie konnte es auch anders sein? Der mußte die Frage wiederholen, der mußte das Eisen noch in der Wunde herumdrehen. »Ihr Ehrenwort, Mylord?«
»Mein Ehrenwort«, wiederholte Hornblower, immer noch voll Gleichmut, immer noch wie ein Mann von Ehre. Wer hätte es sich einfallen lassen, an dem Ehrenwort eines englischen Admirals zu zweifeln, an dem Ehrenwort eines Mannes, der seit mehr als zwanzig Jahren ein Offizierspatent seiner Britischen Majestät besaß? Er brachte jetzt alle anderen Argumente vor, die er sich noch zurechtgelegt hatte.
»Ihre Unternehmung, Herr Graf, kann jetzt der Vergessenheit anheimfallen. Mit dem Tode des Kaisers hat ja wohl alle Hoffnung, das Reich wiederaufzurichten, ein Ende. Kein Mensch braucht zu wissen, welche Absichten Sie verfolgten. Sie selbst, diese Herren hier und die Kaiserliche Garde können unbelastet unter dem Regime verbleiben, das zur Zeit Herr über Frankreich ist. Sie können alle diese Männer nach Hause bringen und damit die von Ihnen ursprünglich bekundete Absicht verwirklichen. Es steht Ihnen frei, Ihre militärische Ausrüstung unterwegs in aller Stille über Bord zu werfen. Aus diesem Grunde habe ich Sie allein, ohne jeden Zeugen dieser Unterredung, aufgesucht. Unsere beiden Länder wünschen, jeden Zwischenfall zu vermeiden, der die Freundschaft unter den Völkern der Welt aufs neue gefährden könnte. Niemand braucht zu erfahren, was hier vorging, dieses Treffen mag für immer unser Geheimnis bleiben.«
Cambronne hörte, was Hornblower sagte, und nahm es wohl auch auf, aber die erste Nachricht war für ihn ein solcher Schlag gewesen, daß er für andere Dinge noch keine Worte fand.
»Der Kaiser ist tot!« sagte er.
»Ich habe Sie, Herr Graf, bereits meiner Teilnahme versichert«, sagte Hornblower, »und möchte dies auch Ihren Herren gegenüber tun. Mein wärmstes, aufrichtigstes Beileid, meine Herren.«
Der amerikanische Kapitän unterbrach das halblaute Gemurmel der Offiziere.
»Sehen Sie die Katzenpfoten dort? Sie kommen auf uns zu.
Das gibt etwas Wind. In fünf Minuten machen wir wieder Fahrt.
Kommen Sie mit uns, Mister, oder wollen Sie noch von Bord?«
»Warten Sie noch«, sagte Cambronne, der offenbar etwas Englisch verstand. Dann wandte er sich wieder zu seinen Offizieren und begann lebhaft mit ihnen zu debattieren. Wenn sie alle zugleich sprachen, reichte Hornblowers Französisch nicht aus, um ihren Reden in allen Einzelheiten zu folgen. Aber er konnte aus den aufgeschnappten Gesprächsfetzen doch entnehmen, daß sie alle
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