Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Gestein gefressen, schlug hier oben auf einen in triefender Nässe schimmernden Felsblock und sprang von da im Bogen weiter in die Tiefe. Bei seinem Anblick wurde sich Hornblower erst bewußt, daß ihm die Kehle vor Durst ganz ausgetrocknet war, darum zog es ihn gleich zu dem verlockenden Wasser hin. Das war ein schwindelerregendes Unternehmen. Rechts streifte er mit der Schulter an die Felswand, zur Linken gähnte der Abgrund, und um ihn her sprühte der Gischt des Falls. Er aber füllte unbeirrt die hohlen Hände und trank und trank, und als er sich sattgetrunken hatte, netzte er noch Gesicht und Hände mit dem köstlich erfrischenden Naß. Spendlove wartete schon hinter ihm, um ihn abzulösen, sobald er fertig war. In seiner üppigen Haartolle klebte ein Klumpen geronnenen Bluts, dessen Spur sich hinter dem linken Ohr und am Hals entlang herabzog.
Spendlove kniete nieder, um ebenfalls zu trinken und sich zu waschen. Als er fertig war, erhob er sich und tastete vorsichtig seinen Kopf und seine Glieder ab. »Die Burschen haben mir nichts erspart«, sagte er. Auch seine Uniform war über und über mit Blut besudelt, und an der Hüfte baumelte die leere Säbelscheide. Der Säbel selbst war weg. Als sie dem Wasserfall den Rücken kehrten, entdeckten sie ihn - einer der Kerle, die sie gefangengenommen hatten, hielt ihn in der Hand. Er schien sie schon voll Ungeduld zu erwarten. Es war ein kleiner, aber breit und stämmig gebauter Bursche, kein Vollblutneger, vielleicht zur Hälfte von weißer Herkunft. Er trug ein schmutziges weißes Hemd, eine schlotternde, zerfetzte blaue Hose und an den seltsam auswärts gedrehten Füßen ein Paar aus den Nähten geplatzter Schnallenschuhe. »Na, Lord«, sagte er.
Er sprach den Dialekt der Insel mit seinen unklaren Vokalen und schweifenden Konsonanten. »Was willst du eigentlich von mir«, fragte Hornblower mit aller Schärfe, über die er gebot.
»Du uns Brief schreiben«, sagte der Mann mit dem Säbel.
»So? Einen Brief? Und an wen?«
»An den Gouverneur.«
»Soll ich ihn vielleicht auffordern, euch zu hängen?« fragte Hornblower.
Der Mann schüttelte seinen großen Kopf. »Nein, ich will ein Papier, ein Papier mit Siegel. Einen Pardon, verstehst du? Für uns alle. Aber mit Siegel drauf.«
»Wer bist du eigentlich?«
»Ich heiße Ned Johnson.« Der Name sagte Hornblower gar nichts, und ein Blick verriet ihm, daß ihn auch der allwissende Spendlove zum erstenmal hörte.
»Ich war bei Harkness an Bord«, sagte Johnson. »Aha!«
Jetzt wußten die beiden britischen Offiziere Bescheid.
Harkness war einer der letzten kleinen Piraten gewesen. Erst vor einer Woche hatte die Clorinda seiner Sloop Blossom vor Savanna la Mar den Weg verlegt und ihr Entkommen nach Lee vereitelt. Unter dem Geschoßhagel der auf weite Entfernung feuernden Fregatte hatte Harkness in letzter Not sein Schiff an der Mündung des Sweet River auf Grund gesetzt. Die Besatzung hatte sich in die Marschen und Mangrovensümpfe des dortigen Küstenstrichs geflüchtet und war auf diese Art entkommen - vollzählig bis auf den Kapitän, den man tot an Deck seines Schiffes fand. Eine Kugel der Clorinda hatte den Mann buchstäblich in Stücke gerissen. Nun waren diese Leute also hier, führerlos jetzt - wenn man Johnson nicht als ihren Führer gelten ließ. Der Gouverneur hatte zwei Bataillone mobilgemacht, um sie zu fangen, sobald die Clorinda in Kingston gemeldet hatte, was geschehen war. Um eine Flucht der Piraten über See unmöglich zu machen, hatte der Gouverneur auf Hornblowers Ansuchen außerdem in jedes Fischernest der ganzen riesigen Insel Wachen verlegt. Galt es doch, unter allen Umständen zu vermeiden, daß sie ihr altes Spiel von neuem begannen, das mit dem Diebstahl eines Fischerbootes seinen Anfang nahm und mit der Kaperung eines größeren Fahrzeugs fortgesetzt wurde, bis sich das Treiben der Kerle wieder zu einer richtigen Plage für alle Seefahrer aus wuchs.
»Für Seeräuber gibt es keinen Pardon«, sagte Hornblower.
»Schon gut«, sagte Johnson, »schreib du nur den Brief, dann wird uns der Gouverneur laufen lassen.« Er wandte sich zur Seite und hob etwas auf, das am Fuß der aufstrebenden Felswand am Boden lag. Es war ein in Leder gebundenes Buch, der zweite Band von Waverley, wie Hornblower feststellte, als er es in der Hand hielt. Jetzt brachte Johnson auch noch einen Stumpen Blei zum Vorschein und drückte ihn Hornblower in die Hand.
»Da, schreib an den Gouverneur«, sagte er, schlug
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