Hornblower 11 - Zapfenstreich
wird.«
»Das stimmt, Sir. Nächsten Montag wird er wohl gehenkt - aber warum interessieren Sie sich denn für diesen Verbrecher, Mr. Marsden?« Irgendwie war es belustigend, zu beobachten, daß einer der beiden, wenn es auch nur der Zweite Sekretär war, offenbar vor einem Rätsel stand. Zumal er im Augenblick nicht einmal eine befriedigende Auskunft erhielt. »Wir haben also keine Zeit zu verlieren.« Jetzt wandte sich Marsden an Hornblower, der in gezwungener Haltung dabeistand und sich sagen mußte, daß infolge dieser Verzögerung sein geplanter Abgang einiges von seiner dramatischen Note eingebüßt hatte.
»Der Pförtner hat doch Ihre Adresse, nicht wahr, Herr Kapitän?«
»Jawohl.«
»Ich werde sehr bald nach Ihnen schicken.«
»Aye aye, Sir.«
Hornblower war schon draußen, als ihm einfiel, daß er eben einem Zivilisten mit diesem ausgesprochenen Seemannsausdruck geantwortet hatte. Aber das peinliche Gefühl darüber hielt nicht vor, weil er ja mit seinem müden Gehirn so viel anderes zu bedenken hatte. Er mußte jetzt unbedingt essen, und dann brauchte er vor allem dringend Schlaf. Der unbekannte Miranda und der geheimnisvolle Claudius im Newgate-Gefängnis interessierten ihn kaum. Zunächst wollte er sich richtig vollschlagen und dann schlafen - schlafen - schlafen.
Aber er durfte auch nicht vergessen, seiner Maria zu schreiben.
9. Kapitel
Als Hornblower aufwachte, war er in Schweiß gebadet, die Sonne brannte durch das Fenster herein und seine kleine Dachkammer glich einem Ofen. Fest hatte er unter seiner Bettdecke geschlafen, aber schließlich hatte ihn die Hitze doch geweckt. Er warf die Decke ab, das brachte ihm einige Erleichterung. Dann begann er vorsichtig seine Glieder zu recken, denn allem Anschein nach hatte er die ganze Zeit geschlafen, ohne seine Lage zu ändern, also buchstäblich wie ein Holzklotz. Da und dort fühlte er immer noch Schmerzen, sie halfen ihm, sich darauf zu besinnen, wo er sich befand, und wie es kam, daß er jetzt hier war. Sein gewohntes Sprüchlein, das ihm zum Einschlafen half, hatte erst nach einer längeren Weile gewirkt. Inzwischen stand die Sonne schon hoch am Himmel, er mußte also zehn oder gar zwölf Stunden geschlafen haben.
Welcher Wochentag war denn heute? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, mußte er sich die jüngste Vergangenheit ins Gedächtnis rufen. Den ganzen Sonntag war er mit der Postkutsche unterwegs gewesen - er hatte ja die Kirchenglocken läuten hören und in Salisbury hatten sich die Kirchgänger um seine Kutsche gedrängt. Also war er am Montagmorgen in London angelangt - gestern also, kaum zu glauben, und heute war also Dienstag. Plymouth hatte er am Samstagnachmittag verlassen und dabei von Maria Abschied genommen. Angenehm ausgeruht, wie er war, fühlte er, wie neue Spannkraft in ihm wuchs, wie jeder Muskel kampfbereit bebte, so wie es gewesen war, als sie von der Guèpe zurückkehrten - das war in den ersten Morgenstunden des Freitags gewesen, als die Princess von dem nicht mehr manövrierfähigen Franzosen abhielt. Am Donnerstag abend also hatte er das Deck der Guèpe geentert, um zu siegen oder zu sterben, wobei der Tod wohl eher zu erwarten war als der Sieg. Ja, am Donnerstag abend war das gewesen, und heute war erst Dienstag morgen! Er gab sich Mühe, diese unerfreulichen Erinnerungen zu verscheuchen und sich wieder zu entspannen. Nur ein seltsamer Einfall nahm ihm plötzlich wieder die Ruhe. Er hatte in der Admiralität das Leintuch des französischen Kapitäns zurückgelassen, mit dem er die Schiffspapiere gebündelt hatte. Wahrscheinlich hatte es irgendein armer Angestellter der Admiralität gestern Abend mit nach Hause genommen, weil er es gut brauchen konnte. Er hatte wirklich keinen Anlaß, sich darüber aufzuregen, es sei denn, er dachte dabei an den französischen Kapitän mit seinem grausig zerschmetterten Kopf.
Er lauschte auf den Straßenlärm und auf das Geratter der Wagenräder und wurde durch diese Ablenkung allmählich ruhiger, bis er aufs neue in köstlichen, erholsamen Halbschlaf sank. Erst nach langer Zeit hörte er schlaftrunken von der Straße herauf das Geklapper von Pferdehufen, aber kein Räderrollen dabei. Als das Geklapper unter seinem Fenster aufhörte, stand er in aller Eile auf, weil er erriet, was das zu bedeuten hatte. Er stand noch im Hemd neben seinem Bett, da hörte er Schritte auf der Treppe und gleich drauf klopfte es an der Tür. »Wer ist da?«
»Ein Bote der Admiralität.«
Hornblower
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