Hornblower 11 - Zapfenstreich
lungerten diese Schilderungen noch immer in meinem Gedächtnis herum. Schon allein Wellingtons Charakter war faszinierend, und er gab ganz gewiß während dieses Krieges ein Beispiel ab für den auf sich gestellten Mann, wenn auch nicht ganz dem Typ entsprechend, der sich in meinem Kopf zu formen begann. Hinzu kam, daß einer der meist beredeten Skandale jenes skandalreichen Jahrhunderts in Wellingtons Familie entstand. Seines Bruders Frau war mit dem Kavallerie-General durchgebrannt, der später zum Marquis of Anglesey wurde. Die Rückwirkungen dieser Entführung waren noch sehr lange in den geschichtlichen Ereignissen spürbar; das war höchst interessant und bemerkenswert.
Noch etwas erregte meine Aufmerksamkeit: in der entscheidenden Phase des Krieges, als die spanische Regierung gegen Napoleons Armeen um ihr Leben kämpfte, wurden tatsächlich spanische Truppen aus dem Kampf gezogen und über den Atlantik geschickt, um eine Rebellion zu unterdrücken, die in Mexiko ausgebrochen war. Das spanischamerikanische Reich begann auseinander zufallen, und die Nachrichtenübermittlung war außerordentlich schwierig und langsam. Und wieder wuchsen Muscheln am versunkenen Holz, sie setzten sich fast unbemerkt an, während meine bewußten Gedanken an Romanen wie ›Die afrikanische Königin‹ und ›Der General‹ arbeiteten.
In diese Zeit fiel ein Ereignis, dessen Zusammenhang mit Hornblower ich damals nicht im entferntesten vermuten konnte: Hugh Walpole war zu jener Zeit einer der maßgebenden Leute in Hollywood, dem Hollywood der neumodischen Filme auf der Höhe seiner Macht, seines Stolzes, seines Reichtums und seiner Anmaßung. Ich hatte ihn nie gesehen, hatte noch nie mit ihm gesprochen oder korrespondiert; aber er hatte meinen Namen genannt, als er gefragt wurde, welcher unter den jungen englischen Schriftstellern wohl geeignet sein könnte, für dieses neue Massenmedium nutzbringend zu arbeiten. So kam es zu dem Brief, in dem ich gefragt wurde, ob ich wohl geneigt wäre anzunehmen, wenn ich nach Hollywood eingeladen würde, um dort mitzuarbeiten. Sollte ich mich wirklich entschließen, diese ausländischen Vereinigten Staaten jenseits des Atlantiks zu besuchen? Sollte ich mich diesem Hollywood verpflichten, über das so phantastische Geschichten in Umlauf waren?
Wahrscheinlich hätte ich abgesagt, wäre ich gerade in einen Roman verstrickt gewesen; aber es fügte sich so, daß mich im Augenblick nur eine unwichtigere Sache beschäftigte - nur ein Marionettentheater. Und außerdem: es war allgemein bekannt, daß Hollywood viel versprach und wenig hielt. Im Grunde überzeugt davon, daß diese Einladung nie kommen würde, schrieb ich zurück, ich wäre bereit, sie anzunehmen, wenn sie käme. Und sie kam - und zwar so brandeilig, wie es in Hollywood üblich ist. Nach achtundvierzigstündiger Jagd nach dem Visum und überhasteter Packerei fand ich mich wahrhaftig an Bord der alten Aquitania auf der Fahrt nach New York.
Für das, was ich hier erzählen möchte, sind nähere Einzelheiten aus jener ersten Arbeitszeit in Hollywood uninteressant, ein Gesichtspunkt ausgenommen. Und zwar habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß sich in Zeiten eines sozusagen kontemplativen Lebens keine Ideen in meinem Kopf formen. Nichtstun macht mich nicht schöpferisch. Aber beschwingte Betriebsamkeit, starke Interessen außerhalb meines Schriftstellerlebens, zweimal in der Woche eine Krisis, jeden Sonnabend eine Katastrophe und weder Muse noch Kraft, über irgend etwas ernsthaft nachzudenken - ein paar Wochen solchen Lebens: wenn dann eine Atempause eintritt, mache ich plötzlich die erfreuliche Entdeckung, daß die Ideen sich inzwischen im Unterbewußtsein entwickelt haben und frische Muscheln am versenkten Holze gewachsen sind. Hollywood aber bot dem Neuling zu jener Zeit zweimal am Tage eine Krisis, nicht nur zweimal wöchentlich. Um dahinter zu kommen, daß im Grunde keiner dieser Krisen irgendwelche Bedeutung zukam und daß die Erregung der Gemüter kaum bis unter die Haut ging, brauchte es einige Erfahrung. Ich stand einem neuen Lebensgefühl gegenüber, neue Ausblicke boten sich, ich atmete eine andere Luft - und da mich eine natürliche Neugier zu immer neuen Unternehmungen trieb, so blieb mir für Besinnlichkeit einfach keine Zeit.
Die letzte Krisis betraf mich selbst. Ich hatte meine Stellung mehrmals gewechselt und war schließlich bei Irving Thalberg gelandet, damals wohl die prominenteste Erscheinung in Hollywood.
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