Hornblower Odyssee 01 - Diesseits Der Liebe
nervös zu machen. Und aufzuwecken, fügte sie in Gedanken hinzu. Bevor er sie geküsst hatte, war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie wach und lebendig sie überhaupt sein konnte.
Ach, lächerlich! Eher entnervt als ärgerlich sprang sie auf und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Lebendig oder nicht, jetzt musste sie erst einmal ihre Doktorarbeit fertig stellen. Danach würde sie nach Portland zurückkehren, wo sie mit Bekannten zusammenkommen, sich ein paar Filme ansehen und auf ein paar Partys gehen würde.
Und was sie als Allererstes tun musste, das war Caleb Hornblower auf den Weg zu bringen, auf den Rückweg dorthin, woher er auch immer gekommen sein mochte.
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4. KAPITEL
C al saß stundenlang vor dem Fernseher und nahm das Tagesprogramm ganz bewusst in sich auf. Für ihn war das keine Unterhaltung, sondern eine Art Ausbildung. Alle zehn oder zwanzig Minuten schaltete er auf einen anderen Kanal um, von einer Spielshow zu einer Unterhaltungsserie, von einer Talkshow zu einem Werbeprogramm.
Die Werbespots fand er am interessantesten, weil sie meist so amüsant waren. Manchmal fragte er sich dabei allerdings, was das eigentlich für Menschen waren, die in dieser Zeit lebten. Da gab es Frauen, die mit Fettflecken kämpften oder dem Kalkbelag auf Badezimmerwänden. Cal konnte sich nicht vorstellen, dass seine Mutter oder irgendeine andere Frau seiner Zeit sich jemals Gedanken über ein Waschmittel machen würde, das weißer als weiß oder reiner als rein wusch. Aber unterhaltsam waren diese merkwürdigen Werbespots allemal - das stand fest.
In einer Serienfolge kam eine Frau vor, die mit einem Mann erregt darüber diskutierte, dass sie möglicherweise schwanger war. Merkwürdig. Entweder eine Frau war schwanger, oder sie war es nicht. Aber möglicherweise? Cal schaltete um, sah einen Ausschnitt aus einer Spielshow und in ihr einen Mann, der gerade eine Reise nach Hawaii gewonnen hatte. Aus der Reaktion des Mannes war zu schließen, dass das im zwanzigsten Jahrhundert eine tolle Sache sein musste.
Auf einem anderen Kanal verfolgte er die Mittagsausgabe der Nachrichten und fragte sich, wie die Menschen eigentlich das zwanzigste Jahrhundert und die nachfolgenden überlebt hatten. Mord schien offenbar ein Volkssport zu sein, ebenso Diskussionen über Auf- und Abrüstungen sowie Abkommen über Waffenbeschränkungen. Da debattierten Politiker doch allen Ernstes darüber, wie viele Kernwaffen ein Staat besitzen durfte. Was meinten sie denn, wie viel Stück zu welchem Zweck nötig waren?
Die Politiker selbst hatten sich anscheinend kaum geändert. Sie hörten sich noch immer gern sprechen, redeten noch immer um die Wahrheit herum und lächelten unentwegt. Macht nichts, dachte Cal, anscheinend sind sie ja doch noch irgendwann zur Besinnung gekommen.
Er schaltete wieder um. Die Seifenopern mochte er am liebsten. Da konnte er Menschen sehen, die sich mit Ehe, Scheidung und Liebesaffären herumschlugen. Zwischenmenschliche Beziehungen schienen sogar eines der wichtigsten Probleme im Jahr 1990 zu sein.
Im Moment flimmerte eine kurvenreiche Blondine mit Tränen in den Augen über den Bildschirm. Sie warf sich einem harten Burschen mit nacktem Oberkörper an die Brust und versank mit ihm in einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Küssen war also offensichtlich in dieser Zeit eine akzeptierte Gewohnheit. Wieso hatte sich Libby dann aber über einen einzigen Kuss so furchtbar aufgeregt?
Cal stand auf und trat ans Fenster. Ihre - und auch seine eigene - ungewöhnliche Reaktion auf diesen Kuss hatte sein Verlangen nach ihr in keiner Weise gedämpft. Er wollte alles über Liberty Stone wissen, was sie dachte, was sie empfand, was sie sich am meisten wünschte und was sie am wenigsten mochte. Er wollte wissen, wie sich ihre Haut anfühlte, und das konnte er sich noch am leichtesten ausmalen.
Er rief sich zur Ordnung. Er sollte eigentlich an nichts anderes denken als daran, wie er wieder nach Hause gelangen konnte.
Die Zeit mit Liberty Stone war nur ein Zwischenspiel, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein Mann diese Frau unbekümmert lieben und verlassen konnte. Allerdings hatte Cal augenblicklich noch nicht den Wunsch nach Zuordnung oder Ehe, und wenn es einmal so weit sein sollte, dann musste sich das Ganze dort abspielen, wo er daheim war.
Er drückte die Handflächen gegen das Fensterglas, als befände er sich in einem Gefängnis, aus dem er mit Leichtigkeit entkommen könnte. Dem war aber
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