Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
wissen, wenn Scott bereit ist, dann sage ich Ihnen, wie es weitergeht.“
„Ich danke Ihnen, Sir. Vielen Dank für diese Chance.“
„Sie haben sie verdient, Jonas. Genießen Sie es.“
Ein paar Stunden später, im Luftraum über New York, sah Jonas Mortlake seine Mutter wieder. Ihr Gesicht erfüllte den Bildschirm des Laptops, der vor ihm auf dem Tisch stand.
Er fand schon immer, dass sie überaus unattraktiv war. Mit ihren kurz geschnittenen Haaren, diesen dünnen Schultern und dem langen Hals hatte sie immer eher ausgesehen wie ein Mann. Wie üblich war sie ganz in Schwarz gekleidet und trug einen Hosenanzug, der ihr überhaupt nicht stand. Sie hatte nichts von Make-up gehalten und nur wenig Schmuck getragen. Ihr Gesicht war so blass, dass es nicht anders ausgesehen hätte, wenn diese Aufnahmen in Schwarz-Weiß gedreht worden wären.
Der Junge, der bei ihr war, faszinierte Jonas. Er lag auf einem Bett und eine Infusionslösung tropfte in seine Armvene. Er trug eine dunkle Hose und ein schwarzes Hemd, das aufgerissen worden war, sodass man seine Brust sehen konnte. Seine Füße waren nackt. Er wirkte benommen, als zeigte die Droge, die man in ihn pumpte, bereits Wirkung. Dies war Scott Tyler vor zehn Jahren … obwohl er nach seinem kleinen Zeitsprung natürlich heute noch genauso aussehen würde. Ein gut aussehender Junge, dachte Jonas, mit den langen dunklen Haaren, den gemeißelten Gesichtszügen und den Indianeraugen. Erst fünfzehn Jahre alt und doch hatte er in seinem jungen Leben schon viel mitgemacht. Jonas hatte von seinem sogenannten Onkel gelesen, einem Mann namens Don White, der in Wirklichkeit nicht mit ihm verwandt war. Er hatte die Begabung des Jungen ausgenutzt und ihn in Reno in einer drittklassigen Show auftreten lassen. Scott hatte keine besondere Bildung genossen. Das Leben hatte ihm nicht viel geboten.
„Es sind immer die guten Menschen, die herumgeschubst werden“, sagte Susan Mortlake auf dem Bildschirm. Wie lange war es her, seit er ihre Stimme gehört hatte? „Die kleinen Leute. Willst du einer dieser kleinen Leute sein, Scott, oder willst du dich mir anschließen? Denn weißt du, in der Welt, die kommt, werde ich der Boss sein und du musst dich entscheiden, an welchem Ende der Peitsche du gern stehen würdest.“
Die Kamera zoomte heran und Jonas schaltete auf Standbild. Scott schien ihm jetzt ganz nah zu sein. Er strich mit einem Finger über die Brust des Jungen. Es fühlte sich gut an. Er würde diesen Auftrag genießen. Was auch immer in Zukunft mit ihm geschehen würde, es würde es wert sein.
Die Maschine flog hoch über den Wolken dahin und beförderte ihn Richtung Osten, nach Europa und auf die blutrote Sonne zu.
BLUT UND SAND
11
Scarlett Adams driftete zwischen drei verschiedenen Welten hin und her.
Die erste davon – das wusste sie – war die reale Welt und in ihr verbrachte sie so wenig Zeit wie möglich. Es war eine Welt der Schmerzen, des grellen Lichts, des Geruchs nach Desinfektionsmittel und des Wissens, dass Plastikschläuche von oben Flüssigkeit in ihren Arm tropfen ließen. Sie lag in einem Bett auf dem Rücken, offensichtlich in einem Krankenhaus. Einmal hatte sie gesehen, wie sich eine Frau in Weiß über sie beugte. Eine Schwester. Sie hatte etwas gesagt, aber die Worte schienen aus so weiter Ferne zu kommen, dass sie nichts verstanden hatte, zumal es ihr vorgekommen war, als wäre es eine fremde Sprache gewesen. Manchmal glaubte sie zu erkennen, dass ein Mann bei ihr im Zimmer war, aber immer, wenn sie genauer hinsehen wollte, war er weg. Ihr war klar, dass sie immer wieder einschlief, und was ihr wie ein paar Sekunden vorkam, konnte durchaus eine Stunde sein. Sie war noch nie so müde gewesen. Sie konnte die Arme und Beine nicht bewegen und hatte einen ekligen Geschmack im Mund.
Die Schmerzen hörten nicht auf. Sie konzentrierten sich auf die Schläfe, als hätte ihr jemand ein Messer zwischen Auge und Ohr gerammt. Der Schmerz pulsierte im Takt ihres Herzschlags, was bedeutete, dass sie bei jedem Poch, Poch, Poch einen Stich, Stich, Stich verspürte. Von Zeit zu Zeit bekam sie mit, wie ihr jemand etwas gegen die Lippen drückte, aber sie konnte nicht trinken. Sie fragte sich, ob sie sterben würde.
Und wenn sie in einem Krankenhaus lag, wo war es und was ging draußen vor? Sie hörte Maschinengewehrfeuer, einzelne Schüsse und gelegentlich den Einschlag eines Mörsers oder einer Granate. Manchmal schien es sehr nah zu sein und ihre
Weitere Kostenlose Bücher