Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
geschaffen worden. Dort konnten sie miteinander reden. Obwohl Pedro nur Spanisch sprach, konnte Matt sich mit ihm unterhalten, und nach dem Aufwachen erinnerten sich beide an das, was gesagt worden war. Scarlett war überzeugt, dass sie Matt dort finden würde, falls er noch am Leben war. Wahrscheinlich hielt er bereits nach ihr Ausschau.
Scarlett schlief und kehrte in die Traumwelt zurück. Wie üblich war sie farblos. Das Land war grau, das Meer schwarz und der Himmel eine Mischung aus beidem. Was ist hier passiert?, fragte sie sich. Hat es hier immer so ausgesehen? Sollten Träume nicht ein bisschen mehr zu bieten haben? Sie verdrängte ihre Enttäuschung und rief nach den anderen, doch ihre Stimme klang so leblos und leer wie alles andere.
Und dann bewegte sich plötzlich etwas. Ein Mann war aus dem Nichts erschienen und drehte ihr den Rücken zu. Sie sah, dass er ein weißes Hemd und eine Anzugweste trug, aber kein Jackett. Scarlett war geschockt. Sie wusste, dass die Traumwelt manchmal merkwürdige Botschaften schickte. Jamie war einmal einem Cowboy begegnet, der feindselig aufgetreten war, ihn in Wirklichkeit aber nur vor einem geplanten Attentat warnen wollte. Matt war von einem riesigen Schwan bedroht worden.
War dieser Mann wegen ihr hier?
„Entschuldigen Sie …“, sagte sie.
Der Mann drehte sich langsam um. Scarlett blinzelte. Sie sah sich einem kugelrunden Gesicht mit einem kleinen, sauber gestutzten Oberlippenbart gegenüber. Der Mann trug eine sehr dunkle runde Sonnenbrille, deren Gläser rund wie Münzen waren und seine Augen vollständig verbargen. Er lächelte sie an und zeigte dabei mehr Goldzähne als echte.
„Fünf“, sagte er.
Die Fünf. Sie war eine von ihnen. Er hatte sie erkannt.
Scarlett wachte auf und merkte sofort, dass etwas passiert war. Ärzte sprechen oft von einem Tunnel des Schmerzes und sie erkannte, dass sie endlich am anderen Ende angekommen war. Das Licht brach über sie herein und sie hatte das Gefühl, das Schlimmste überstanden zu haben. Zum ersten Mal sah sie die Zimmerdecke, die gegenüberliegende Wand. Dort hing ein gerahmtes Bild, das einen sehr selbstbewusst blickenden jungen Mann in arabischer Kleidung zeigte. Er stand mit erhobener Faust im Wind. Neben dem Bild war eine offene Tür, die auf einen Flur führte. Das Licht des frühen Morgens fiel ein und landete auf einer Ecke ihres Bettes. Sie hatte furchtbaren Durst. Sie spürte den strammen Verband an ihrem Kopf, aber das war in Ordnung. Bisher hatte sie nicht einmal gemerkt, dass er da war.
„Scarlett?“
Lohan war immer noch bei ihr. Er kam auf ihr Bett zu und beugte sich über sie. Doch als er in ihrem Gesichtsfeld auftauchte, erkannte sie, dass es überhaupt nicht Lohan war. Irgendwie waren sie alle bei ihrer Flucht aus dem Tempel voneinander getrennt worden. Dieser Mann hatte ein schmales, intelligentes Gesicht, eine leicht schiefe Nase und kurze schmutzig blonde Haare, die in alle Richtungen abstanden. Scarlett wusste, wer das war: Richard Cole, der Journalist.
„Kannst du mich hören?“, fragte er.
Sie nickte.
„Ich hole den Arzt. Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Wasser.“
„Hier.“ Er griff nach dem Glas und hielt es ihr an die Lippen.
Scarlett schluckte und spürte, wie das Wasser ihre Kehle hinunterlief.
„Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht“, sagte Richard. „Aber du siehst jetzt viel besser aus. Du wirst wieder.“
Scarlett hatte so viele Fragen. Die erste war die naheliegendste. „Wo bin ich?“
Richard biss die Zähne zusammen und seufzte. „Du wirst dir noch wünschen, diese Frage nicht gestellt zu haben.“
12
Die letzten Minuten im Tai Shan Tempel würde Richard sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Alles war so schnell passiert. Die Flucht durch die Stadt mit Matt und Scarlett, während um sie herum der Taifun alles in Schutt und Asche legte. Der Tempel selbst, in dem überall Leichen lagen, getötet von den Triadenkillern, die vorausgeschickt worden waren, um ihnen den Weg frei zu machen. Das plötzliche Auftauchen von Scott und Pedro, die die zigtausend Kilometer von Peru in Sekundenschnelle zurückgelegt hatten. Dann der Schuss. Einen grauenvollen Moment lang hatte Richard befürchtet, Matt wäre getroffen worden, doch dann war Scarlett direkt vor ihm zusammengebrochen und er hatte sie in seine Arme genommen und sofort gesehen, dass die Verletzung schlimm war, denn ihr Blut sickerte in sein Hemd.
Und da Scarlett bewusstlos war, griff
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