Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 6 - Feuerfluch
Was ich an diesem Tag sah, war nur ein vager Eindruck von der Stadt, gewissermaßen ein paar Fetzen, die im Wind wehten.
Wir gingen hinaus auf die Straße oder auf das, was davon übrig war. Ich konnte ein paar der weißen Linien in der Straßenmitte sehen und die gelben am Rand, die einem sagten, dass man hier nicht parken durfte, aber die meisten dieser Markierungen waren von Staub und Schutt verdeckt und außerdem war es nicht mehr möglich zu erkennen, wo die Straße war oder wohin sie führte. Die Kirche war ganz nah, höchstens hundert Meter entfernt, und fast das einzige Gebäude, das noch stand und kaum beschädigt war. Sie war riesig und überragte die tote Stadt wie ein Mahnmal. Die Überreste von Läden und Büros auf beiden Straßenseiten boten uns eine gewisse Deckung. Aber wie alle anderen wünschte auch ich, dass Jamie einen Zeitpunkt gewählt hätte, an dem es dunkler oder regnerisch war.
„Bleib dicht bei uns“, flüsterte Will mir zu.
Das brauchte er mir nicht zu sagen. Amir und Ryan waren vor mir. Sie folgten Simon und Blake, die die Vorhut bildeten. Jamie ging neben mir und hinter uns die Brüder Graham und Will. Auch Jamie und ich hatten eine Waffe bekommen und ich hoffte nur, dass ich diesmal besser treffen würde als auf der Lady Jane. Um ehrlich zu sein, war ich froh, von so vielen bewaffneten Männern umgeben zu sein, und als wir die Straße hinuntergingen – eilig, aber trotzdem vorsichtig und in alle Richtungen sichernd –, tat ich mein Bestes, meinen Platz in der Mitte nicht zu verlieren.
Der Angriff kam vollkommen unerwartet. Es waren nicht die Gestaltwechsler, die furchtbare Frau von der Polizei oder irgendwelche Kreaturen der Alten.
Es waren Hunde.
Wahrscheinlich war es Zufall, dass sie in diesem Stadtteil waren, aber es war mindestens ein Dutzend und sie hatten Hunger.
Als London angegriffen wurde, waren sie vermutlich Haustiere, die zurückgelassen wurden und sich – genau wie die Menschen in den U-Bahn-Tunneln – zu Rudeln zusammenschlossen. Doch als sie sich auf uns stürzten, war deutlich zu sehen, dass sie jetzt niemandes Lieblinge mehr waren. Da waren kleine fette Köter, die auf ihren kurzen Stummelbeinen rannten, so schnell sie konnten, und große, klapperdürre mit verfilztem Fell und starrem Blick. Es waren alles Mischlinge, die die schlimmsten Teile jedes nur denkbaren Hundes in sich vereinten, und damit die widerlichsten Kreaturen, die man sich vorstellen konnte. Es war eindeutig, dass in dem, was von ihren Gehirnen noch übrig war, nur ein Gedanke vorherrschte: Fressen. Sie heulten und bellten und schnappten mit ihren rasiermesserscharfen Zähnen wild in die Luft. Anscheinend verbrachten sie viel Zeit damit, sich gegenseitig anzufallen. Es war keiner unter ihnen, der nicht verletzt war – Bisswunden an Bauch und Brust, aufgerissene Kehlen, fehlende Augen und Ohren. Einer schleppte sich sogar auf zwei Beinen hinter den anderen her.
Sie mussten unsere Witterung sofort aufgenommen haben, als wir das Haus verließen. Allein und unbewaffnet hätte keiner von uns eine Chance gehabt. Die Köter hätten uns begeistert in Stücke gerissen und gefressen. So, wie sie aussahen, hatten sie so etwas schon öfter getan. Aber natürlich waren wir bewaffnet. Wir sahen sie kommen. Und obwohl sie aussahen, als wären sie einem Albtraum entsprungen, konnten sie uns nichts tun.
Aber das war nicht das Problem. Blake hob seine Maschinenpistole und feuerte eine Salve auf sie ab, die vier oder fünf von ihnen sofort tötete und die anderen so effektiv stoppte, als wären sie gegen eine Glasscheibe gerannt. Etliche der Bestien waren nur verletzt und flippten vollkommen aus. Sie schnappten nach ihren Wunden, als könnten sie die Ursache des Schmerzes aus sich herausbeißen. Ein paar schnupperten an den toten Gefährten und schienen zu begreifen, dass sie eine einfachere Mahlzeit abgaben – auch wenn es vielleicht besser schien, sie sich später zu holen. Auf jeden Fall war der Angriff vorbei, bevor er richtig angefangen hatte. Aber das Rattern der Maschinenpistole war vermutlich in der ganzen Stadt zu hören gewesen und jetzt wusste jeder in der Kirche und ihrer Umgebung, dass wir da waren.
„Lauft!“, rief Will.
Er hatte recht. Wenn wir St. Meredith’s erreichen und Jamies Tür finden wollten, mussten wir so schnell sein, wie wir konnten. Wir hatten das Überraschungsmoment verloren, aber vielleicht blieben uns ein paar Sekunden, bis der Feind herausfand, aus welcher Richtung
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