Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 6 - Feuerfluch
fühlten sich schwer an. Es war fast, als wären sie ein Teil des Stuhls geworden, auf dem er saß.
„Wie ich dir schon in meinem Haus sagte, habe ich das Tagebuch von Joseph von Córdoba gelesen. Ich weiß schon lange alles über die Alten, über die fünf Torhüter und die Schlacht, die um das Überleben der Welt geschlagen werden wird. Aber ich habe das nie geglaubt.“ Er deutete auf die Bücherregale. „Diese Bibliothek ist voll von den Aufzeichnungen von Propheten und Visionären aller Zeitalter. Sie wurden von Teufeln und Dämonen heimgesucht und haben ihnen die verschiedensten Namen gegeben. Manche behaupten sogar, sie könnten in die Zukunft sehen. Viele dieser Texte sind einfach lachhaft. Andere sind schlicht gotteslästerlich. Wir machen sie nicht öffentlich zugänglich, denn in den falschen Händen könnten sie gefährlich sein. Allerdings studieren wir sie, weil sie uns gewisse Erkenntnisse vermitteln. Sie zeigen uns, was passiert, wenn Menschen vom rechten Glauben abweichen.
Genau das ist dem heiligen Joseph passiert – er war irregeleitet und dumm und seine Schlüsse waren schlichtweg falsch! Wenigstens habe ich das immer angenommen. Und jetzt kannst du dir vermutlich vorstellen, wie verblüfft ich war, als ich heute Abend nach Hause kam und mir meine eigene Mutter mitteilte, dass einer der Torhüter in Rom wäre und im zweiten Stock meines eigenen Hauses schlafen würde. Meine Mutter hat felsenfest an dich geglaubt, Pedro. Sie hat an der Universität von Rom Theologie studiert und ist genau wie ich auf die Geschichten über die Alten gestoßen. Als sie mir von dir erzählte – als du noch oben geschlafen hast –, habe ich Gefühle für sie empfunden, die ich bisher nie hatte. Ich denke, ich habe sie tatsächlich dafür gehasst, dass sie an dich glaubte. Dafür muss ich um Vergebung bitten, Pedro. Ein Mann sollte seine eigene Mutter nicht hassen.“
„Was haben Sie getan?“, fragte Pedro, doch die Worte kamen ihm nur mit Mühe über die Lippen. Er wollte aufspringen und weglaufen, aber er war plötzlich so müde. Er schmeckte immer noch den Wein auf der Zunge, aber jetzt war da noch etwas anderes – eine Bitternote, die der fruchtige Geschmack verdeckt hatte. Seine Lider wurden schwer. Der Raum schien vor seinen Augen zu verschwimmen.
„Hätte ich nur recht gehabt mit meiner Annahme. Wärst du doch nur ein Betteljunge gewesen, der sich mit einem Trick Essen und Obdach in unserem Haus erschwindelt hat. Das war mein erster Gedanke. Aber dann hast du direkt vor meinen Augen ein Wunder bewirkt. Meine Schwester ist von den besten Ärzten Roms behandelt worden. Wir haben über Operationen und verschiedene Therapien gesprochen, mussten aber schließlich akzeptieren, dass wir nichts mehr für sie tun konnten und dass sie sterben würde. Der Krebs war zu weit fortgeschritten. Wir wussten, dass das Ende nah war.
Und doch saß sie heute aufrecht im Bett, was nur dir zu verdanken ist. Sie spricht wieder. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie geheilt ist.“
„Ich habe sie geheilt.“ Es kostete Pedro alle Kraft, diese paar Worte zu sagen. Er hatte das Gefühl, als verlangsamte sich alles. Es kam ihm vor, als wäre ein riesiges Loch im Raum, in das er hineingezogen wurde. Der Priester musterte ihn prüfend.
„Ja. Du hast sie geheilt. Du verfügst über eine außergewöhnliche Gabe und ich bin dir sehr dankbar. Ich hoffe, dass Gott dir gnädig ist. Ich hoffe, dass er uns beiden gnädig ist.“
„Was haben Sie getan?“, wiederholte Pedro seine Frage und diesmal machte er sich nicht die Mühe, die Verachtung aus seiner Stimme zu verbannen.
„Der Wein, den du getrunken hast, war vergiftet, Pedro. Ich habe dich vergiftet. Dir bleiben nur noch drei oder vier Minuten.“ Er hob die Hand und die Edelsteine an seinen Ringen funkelten im Licht. „Hab keine Angst. Ich habe dasselbe Gift genommen. Ich werde nicht die Sünde des Tötens begehen und mir erlauben, damit weiterzuleben. Wir werden diese letzte Reise gemeinsam antreten.“ Er verstummte, um Atem zu holen, und als Pedro sah, wie leichenblass er geworden war, wurde ihm klar, dass er vermutlich genauso aussah. „Ich habe gesündigt“, fuhr Silvio fort. „Aber ich hatte keine Wahl. Ich hoffe, du wirst mir vergeben. Ich hoffe, Gott wird mir vergeben. Er wird es verstehen.“
Nein.
Pedro weigerte sich zu sterben. Er hatte sein ganzes Leben lang gekämpft – in dem Dorf, in dem er geboren worden war, in dem Slum, in dem er gelebt hatte.
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