Hostage - Entführt
ihre Spur: Sie führte zum Besenschrank. Thomas spreizte die Finger, damit das Licht heller wurde – das Öl war rot.
Die Schranktür rückte vor Thomas' innerem Auge ganz nah heran. Wie beim Blick durch ein Teleobjektiv. Gleichzeitig schien die ganze Werkstatt um ihn herum zu schrumpfen. Und die Pistole war vergessen. Nur die Tür stand ihm vor Augen. Und die dicke, rote Flüssigkeit, die unten raussickerte.
Thomas starrte auf die Tür. Er wollte sie öffnen, und zugleich wollte er fliehen.
Er trat über die rote Lache, langte nach dem Schrankgriff, brachte es aber nicht fertig, ihn anzufassen. Kurz vor der Klinke verharrten seine Finger reglos in der Luft.
Mach auf!
Thomas umschloss den Griff vorsichtig mit der Hand. Er hatte furchtbare Angst, das, was hinter der Tür war, könnte versuchen, sie zuzuhalten. Dann öffnete er sie langsam.
Kevin fiel raus und blieb tot vor seinen Füßen liegen. Seine leblosen Arme schienen Thomas' Beine zu umklammern.
Seine Kehle war durchgeschnitten, und sein Kopf baumelte herab. Sein Gesicht war in einem schrecklichen Totengrinsen, in stillem Gelächter erstarrt.
Seine Augen waren offen.
Thomas schrie.
Jennifer
Jennifer presste das Ohr ans kalte Holz ihrer Tür und horchte. Wann kam Kevin endlich zurück? Er musste doch nur über den Flur zu Thomas gehen, aber das dauerte jetzt schon so lange, dass sie fürchtete, Mars und Dennis hätten sich eingemischt. Ihr Magen zog sich zusammen, und sie drückte die Fäuste auf den Bauch, damit er sich wieder beruhigte – zwecklos. Das Messer, das sie unter dem Hosenbund versteckt hatte, schnitt in ihre Haut. Jennifer schnappte nach Luft und verschob die Schneide, damit das nicht noch mal passierte.
Jetzt knackten die Dielen vor der Tür.
Kevin!
Sie war aufgeregt, glücklich und zur Flucht bereit. Gleich würde sie ihren Vater wiedersehen! Und Thomas so fest umarmen, dass er sich winden würde! Und bald auch ihre Mutter treffen!
Die Tür ging auf, und Mars kam ins Zimmer – groß, breit und massig wie ein Bär. Sie zuckte so schnell zurück, dass sie fast hinfiel.
Bei seinem Lächeln dachte sie an böse Jungs, die einen Ameisenhaufen anzünden.
Er fragte: »Hast du jemand anderen erwartet?«
Sie wich zurück und hoffte, dass Kevin endlich wieder auftauchte – dieser Mars war so furchtbar und abstoßend.
Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten.
»Ich warte nur auf die Polizei.«
Mars nickte zustimmend.
»Die ist bald da. Du musst vermutlich nicht mehr lange warten.«
Sie verwünschte ihr vorlautes Mundwerk. Was er da sagte, wie er es sagte und welche Miene er dabei machte – das gefiel ihr gar nicht. Wenn er bloß verschwinden würde!
Stattdessen schloss Mars die Tür von innen. In der Hand hielt er den großen Nagel, mit dem er die Tür zuvor blockiert hatte. Geistesabwesend klopfte er damit auf seinen Oberschenkel. Rhythmisch. Jennifer schmeckte es nicht, dass er die Tür zugemacht hatte. Und jetzt mit dem Nagel rumklopfte. Sie verschränkte die Arme schützend vor der Brust.
»Was willst du?«
Mars beobachtete sie mit leuchtenden und nervösen Augen, die nicht zu seinem stumpfen Gesichtsausdruck passten. Es war, als sei er gar nicht mit ihr in einem Zimmer, sondern auf der anderen Seite einer Glaswand. Als sei er da und doch nicht da. Als blicke er von draußen rein. Aus seiner eigenen, grässlichen Welt.
»Was willst du?!«
»Kevin ist ohne dich gegangen.«
Sie spürte, wie sie rot wurde. Sie schlang die Arme so fest um sich, dass die Fingernägel sich in ihr Fleisch gruben. Sie hätte schreien mögen.
»Er wollte, dass ich dir das sage. Er hat noch mal nachgedacht und entschieden, dass es einfach zu riskant wäre, sich mit dir und deinem Bruder an Dennis vorbeizuschleichen. Deshalb ist er allein gegangen. Ich soll dir sagen, dass es ihm Leid getan hat.«
Jennifer schüttelte den Kopf und wusste nicht, was davon stimmte und was nicht. Was Mars wusste und was nicht. Und ob ihre einzige Hoffnung, hier rauszukommen, sich ohne sie aus dem Haus gestohlen hatte.
»Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Mars kam näher.
»Nein? Na ja – auch egal. Das letzte Licht ist fast schon aus.«
»Was redest du da?«
Mars schien beim Näherkommen zu wachsen und das Zimmer auszufüllen. Jennifer ging rückwärts.
»Anständige Jungs machen das Licht aus, damit niemand sehen kann, was sie im Dunkeln für ungezogene Sachen treiben. Das hat mir meine Mutter beigebracht.«
Jennifer stieß mit dem Hintern
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