Hostage - Entführt
Rooneys Adresse zu schicken – dafür hatte er nicht genug Leute.
Jetzt meldete sich eine andere Stimme.
»Chief, hier Anders.«
»Ja, Larry?«
»Ich bin bei einer Nachbarin. Sie sagt, die Leute im Haus heißen Smith, Walter und Pamela Smith. Sie haben zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Moment … – ja, Jennifer und Thomas. Sie sagt, das Mädchen ist etwa fünfzehn und Thomas ein paar Jahre jünger.«
»Weiß sie, ob die Leute zu Hause sind?«
Talley hörte ihn mit der Nachbarin sprechen – Anders war so aufgeregt, dass er die Sendetaste gedrückt hielt. Talley sagte ihm, er solle nicht hektisch werden.
»Frau Smith ist in Florida und besucht ihre Schwester. Die Nachbarin glaubt, der Rest der Familie sei daheim. Sie sagt, der Mann arbeitet zu Hause.«
Talley fluchte in sich hinein. Möglicherweise saßen da drin drei Geiselnehmer und drei Geiseln. Er musste rausfinden, was im Haus vorging, und dafür sorgen, dass die Belagerten nicht wieder anfingen zu schießen. Die Lage stabilisieren, nannte man das. Mehr musste er nicht tun. Das sagte er sich immer wieder wie ein Mantra: Mehr musst du nicht tun.
Er atmete tief durch, um sich zu sammeln. Dann atmete er noch mal tief durch und schaltete das Megafon auf dem Dach seines Streifenwagens ein. Gleich würde er mit den Tätern Kontakt aufnehmen. Und damit würde das Verhandeln beginnen. Talley hatte sich geschworen, das nie mehr zu machen. Er hatte sein Leben komplett umgekrempelt, um diese Situation zu vermeiden. Und jetzt steckte er wieder drin.
»Ich heiße Jeff Talley. Ist im Haus jemand verletzt?«
Seine Stimme hallte durch die Nachbarschaft. Er hörte, dass ein Streifenwagen an der Einmündung in die Sackgasse anhielt, doch er drehte sich nicht um, sondern blickte unverwandt auf die Hausfassade.
»Keine Panik! Wir haben alle keine Eile. Wenn Sie da drin Verletzte haben, sollten wir dafür sorgen, dass sie Hilfe bekommen. Wir können das gemeinsam regeln.«
Keine Reaktion. Talley war klar, dass die Täter unter unglaublichem Stress standen. Erst waren sie an zwei Schießereien beteiligt gewesen, und jetzt saßen sie in der Falle. Sie hatten bestimmt Angst, und die Hausbewohner schwebten in großer Gefahr. Talleys Aufgabe war es, das Stressniveau zu senken. Wenn man Tätern Zeit gab, sich zu beruhigen und über ihre Situation nachzudenken, begriffen sie manchmal, dass sie nur einen Ausweg hatten – aufzugeben. Dann musste man ihnen dafür nur noch eine Rechtfertigung verschaffen. So funktionierte das. Talley hatte es an der FBI-Schule für den Umgang mit Krisensituationen gelernt, und es hatte immer geklappt – bis George Malik seinem Sohn in den Hals geschossen hatte.
Talley drückte wieder auf die Megafontaste. Er bemühte sich, seine Stimme beherrscht und verbindlich klingen zu lassen.
»Wir werden früher oder später sowieso miteinander reden. Fangen wir doch einfach jetzt damit an! Sind im Haus alle wohlauf? Oder braucht jemand einen Arzt?«
Schließlich antwortete einer von drinnen.
»Fick dich ins Knie.«
Jennifer
Die Augen ihres Vaters zuckten nach links und rechts, nach oben und unten, als würde er lebhaft träumen. Einmal wimmerte er leise, doch seine Lider blieben geschlossen. Thomas beugte sich flüsternd neben Jennifer.
»Was ist mit ihm los?«
»Er wacht nicht auf. Er müsste doch längst aufgewacht sein, oder?«
So was war wirklich nicht vorgesehen. Jedenfalls nicht in ihrem Haus. Nicht in Bristo Camino. Nicht an diesem wunderschönen Sommertag.
»Daddy, bitte!«
Mars kniete sich neben sie, um nach der Halsschlagader ihres Vaters zu fühlen. Ein großer, ekliger Kerl. Und stinken tat er. Nach Schweiß und Zwiebeln.
»Sieht nach einer Hirnverletzung aus.«
Jennifer spürte, wie Angst und Brechreiz in ihr hochstiegen, doch dann merkte sie, dass er sie aufzog.
»Wichser.«
Mars blinzelte unruhig, als hätte sie ihn überrascht und in Verlegenheit gebracht.
»So was tu ich nicht. Das ist unanständig.«
Er ging weg.
Die Wunde ihres Vaters pochte regelmäßig, blutete aber kaum noch. Das geronnene Blut und das offene Fleisch schwollen zu einem bedrohlichen, dunkelroten Vulkan. Jennifer stand auf und ging zu Dennis.
»Ich will Eis holen.«
»Halt's Maul und setz dich.«
»Ich hol jetzt Eis! Er ist verletzt!«
Dennis funkelte sie zornig an. Sein Gesicht war knallrot. Er blickte kurz zu Mars rüber, dann auf ihren Vater. Schließlich drehte er sich wieder zur Jalousie.
»Mars, bring sie in die Küche. Und
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