Hostage - Entführt
konnte. In manchen nur ein, zwei Wochen, in einer sogar mal fast ein Jahr. Immer waren es schmutzige Löcher mit fleckigen Zimmerdecken und ständig laufenden Toiletten. Flo Rooney hatte in der Regel irgendeinen miesen Job, einmal sogar zwei und mehr als einmal keinen. Nie war genug Geld da. Flo war klein und kugelrund, hatte dabei aber streichholzdürre Beine. Und jede Menge Pickel. Sie trank gern Gin und hatte ständig eine Fahne. Wenn sie Katzenjammer bekam, weil sie zu viel gebechert hatte, meckerte sie die beiden Jungen an, sie hätte nicht genug Geld, um sie durchzufüttern, und müsste sie demnächst ins Heim stecken. Kevin fing dann immer an zu weinen, aber Dennis sagte: Dann tu mich doch endlich in dieses verdammte Heim. Es ging ständig nur um Geld.
Dennis schob Kevin zur Schlafzimmertür. Beide versuchten, ganz leise zu sein, denn ihre Mutter war mit einem Mann im Bett, den sie in der Kneipe abgeschleppt hatte. Diesen Monat arbeitete sie hinterm Tresen, nächsten Monat würde sie was anderes machen, aber irgendeinen Mann hatte sie immer. Sie nannte Männer ihr ›kleines Vergnügen‹. Dennis nannte sie Besoffene.
»Willst du nicht sehen, wie sie's machen?«
»Nein!«
»Vorhin hast du noch gesagt, du willst es sehen! Hör mal, was er mit ihr anstellt!«
»Dennis, hör auf! Ich hab Angst!«
Es roch stechend nach Schweiß und Sex, und dafür hasste Dennis seine Mutter. Er war eifersüchtig darauf, dass sie mit diesen Kerlen ihre Zeit verbrachte. Und es demütigte ihn, was sie diesen Saufnasen erlaubte. Er schämte sich und war doch zugleich erregt. Ihre keuchend und seufzend ausgestoßenen Flüche machten ihn an.
Er schubste Kevin aufs Neue, diesmal behutsamer.
»Na los – danach weißt du Bescheid.«
Diesmal schlich Kevin tatsächlich zur Tür. Dennis blieb auf dem Schlafsofa und beobachtete ihn. Er war sich nicht sicher, warum er Kevin so drängte – vielleicht wollte er, dass Kevin sie so sehr hasste wie er. Da ihr Vater sich sonstwo rumtrieb und Flo arbeiten ging, musste Dennis sich um seinen jüngeren Bruder kümmern, Frühstück machen, dafür sorgen, dass sie beide rechtzeitig in die Schule kamen, aufpassen, dass Kevin gut nach Hause kam, und Abendbrot machen. Wenn Dennis schon Vater und Mutter für Kevin sein musste, war kein Platz mehr für einen anderen Vater, eine andere Mutter. Vielleicht hatte er Kevin deshalb zur Tür gedrängt. Vielleicht wollte er ihr auch einfach eins auswischen.
Jetzt war Kevin an der Tür und spähte vorsichtig ins Schlafzimmer. Es ging gerade richtig zur Sache, und man hörte den Mann Kommandos geben, wie sie's ihm besorgen sollte. Sie hatte nicht mal die Tür zugemacht.
Kevin stand eine Ewigkeit da und sah zu. Dann trat er mitten auf die Schwelle – unübersehbar.
Dennis flüsterte laut: »Kev!«
Kevin schluchzte auf und begann zu heulen.
Der Mann im Schlafzimmer schrie: »Du Scheißkerl – raus hier!«
Kevin stolperte rückwärts, als der Mann nackt und mit steifem, feucht glänzendem Glied aus der Tür getaumelt kam. Seine Jeans hielt er in der Hand.
»Dir werd ich's zeigen, du dreckiger kleiner Spanner!«
Er war groß und bleich. Nur seine derben, stark behaarten Arme waren braun gebrannt. Auf den Schultern prangten Tattoos, und sein Bauch war schlaff und schwabbelig. Betrunken und bekifft wie er war, leuchteten seine Augen grellrot. Er zog den dicken Ledergürtel aus den Schlaufen seiner Jeans und machte damit auf Kevin Jagd. Die Gürtelschnalle war ein großes Messingoval mit eingelegten Türkis-Steinen. Der Gurt fuhr voll auf Kevins Rücken nieder, und er schrie auf.
Dennis warf sich, so fest er konnte, gegen den Mann und trommelte – völlig wirkungslos – mit den Fäusten auf ihn ein. Da bekam auch er den Gürtel zu spüren – wieder und wieder schlug der Mann zu, bis Dennis nicht mehr weinen konnte.
Seine Mutter war die ganze Zeit im Bett geblieben. Nach einer Weile stieg der Mann – ihr kleines Vergnügen – wieder zu ihr.
»Dennis?«
Der wischte sich die Augen und rutschte dann vom Barhocker.
»Sei still, Kevin. Ich verschwinde hier erst, wenn ich das Geld mitnehmen kann.«
Dennis ging wieder ins Arbeitszimmer und zog das Telefon aus der Steckdose. Es hatte keinen Sinn, mit den Bullen zu reden, solange er nicht wusste, was er sagen sollte. Er wollte das Geld.
Ken Seymore
Der Ü-Wagen von Channel Eight stand am Rand des Parkplatzes. Der Reporter war ein verdammt hübscher Junge, allerhöchstens 25, 26 Jahre alt. Diesen
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