Hotel der Sehnsucht
„Nichts, was ich von dir nicht schon gehört hätte", antwortete Samantha widerwillig. „Dass ich ein braves Mädchen sein und tun soll, was man mir sagt."
Der Sarkasmus der Antwort und die Bitterkeit des Tonfalls kamen für sie selbst ein wenig überraschend. Dennoch musste sie zugeben, dass sie ihrer inneren Verfassung ziemlich genau entsprachen. Sie fühlte sich, als führte sie einen Kampf auf Leben und Tod - allerdings ohne zu wissen, wo die Bedrohung war oder worin sie bestand.
„Warum hast du eigentlich solche Angst vor mir?" Zum wiederholten Male stellte Andre seine Begabung unter Beweis, ihre Gedanken lesen zu können. „Hat dir der Arzt denn nicht gesagt, dass du mir vertrauen kannst?"
„Und ob!" bestätigte sie ihm mit unverhohlenem Spott. „Überhaupt hat er seine Rolle absolut überzeugend gespielt. Zunächst einmal hat er alles bestätigt, was du über uns gesagt hast. Dann hat er mir eine Frage nach der anderen gestellt und bei jeder Antwort bedeutungsvoll genickt. Was daran so interessant war, wollte er mir allerdings nicht sagen. Es hätte mich auch gewundert, denn mittlerweile habe ich das verdammte Gefühl, dass jeder, dem ich über den Weg laufe, alles daransetzt, mich im Ungewissen zu lassen."
Bevor sie weitersprach, warf Samantha Andre einen fragenden bis skeptischen Blick zu.
„Zu guter Letzt hat er mir noch den dringenden Rat mit auf den Weg gegeben, mich nicht gegen deine Hilfe zu wehren, und mir versichert, dass du nur mein Bestes willst."
Andre schien davon auszugehen, dass sich die Unterhaltung noch eine Weile hinziehen konnte, denn er stellte den Motor wieder ab. „Und genau das glaubst du nicht, stimmt's?"
„Stimmt", gab Samantha unumwunden zu. „Weil ich nicht das Gefühl habe, dass du mit offenen Karten spielst."
„Wie kommst du darauf?" fragte Andre nach. Seine Stimme klang eher besorgt als wütend - was wiederum Samantha wütend machte, bestärkte es sie doch in ihrem Verdacht, dass er sie nicht für voll nahm.
„Ich mache dir einen Vorschlag", sagte sie bestimmt. „Wir ändern die Spielregeln dahingehend, dass ich ab sofort nur noch antworte, wenn ich im Gegenzug auch eine Antwort bekomme."
„Einverstanden", stimmte Andre zu, ohne lange nachdenken zu müssen. „Willst du mit der ersten Frage anfangen?"
Die Antwort kam für Samantha mehr als überraschend. Im Grunde hatte sie Andre nur provozieren wollen und nicht damit gerechnet, dass er sich auf die Bedingungen einlassen würde.
„Nein!" erwiderte sie bestimmt, um das Gefühl der Panik zu bekämpfen, das in ihr aufstieg.
Andre schien mit einer solchen Reaktion gerechnet zu haben. „Warum nicht?" fragte er ohne Anzeichen von Verwunderung. „Interessiert dich die Antwort nicht, oder fühlst du dich ihr nicht gewachsen?"
„Weil mir allmählich alles zum Hals raushängt!" Samantha machte ihrer Verärgerung lautstark Luft. „Ich habe es langsam, aber sicher satt. Dich habe ich langsam, aber sicher satt!" schrie sie Andre an, und zur Bekräftigung packte sie ihn am Ärmel und zog heftig daran. „Ich kenne dich doch nicht einmal, wann begreifst du das endlich? Wer garantiert mir denn, dass du nicht ein unersättlicher und sexbesessener Lustmolch bist, vor dem ich mich lieber in Acht nehmen sollte, anstatt mich zu ihm ins Auto zu setzen?"
Andres Reaktion bestand darin, dass er loslachte. Und zwar lauthals, wie Samantha entgeistert zur Kenntnis nehmen musste. „Wenn es danach geht, sollte ich vielleicht lieber aussteigen", sagte er, nachdem er sich endlich wieder gefangen hatte.
„Was fällt dir ...?" wollte Samantha gegen die unausgesprochene Unterstellung protestieren. Doch Andre kam ihr zuvor, indem er sich zu ihr herüberbeugte und sie mit einem Kuss zum Schweigen brachte.
All die Empörung, die sie noch vor Sekunden empfunden hatte, hatte sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst, und ehe sie sich's versah, legte ihm Samantha die Arme um den Nacken, als wollte sie verhindern, dass er sich ihr entzog.
Ihre Taktik schien zunächst aufzugehen, denn als sie die Lippen öffnete, um den Kuss intensiver spüren zu können, leistete Andre keinen Widerstand. Erst als ihr lustvolles Stöhnen ihm klarmachte, dass sie im Begriff war, sich auf etwas einzulassen, was sie später bereuen könnte, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, den Rückzug anzutreten.
Ohne ein Wort zu verlieren, ließ er den Motor an und lenkte den schweren Wagen mit einer Gelassenheit durch den Straßenverkehr, die so gar nicht zu der
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