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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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konnte Tinchen noch immer keine sonderliche Sympathie für Frau Antonies Mitbewohnerin aufbringen und weigerte sich beharrlich, sie mit Dorothee anzureden, doch sie mußte zugeben, daß ihrer Mutter die Zweisamkeit gut bekam. Waren es anfangs nur Autofahrten in die nähere Umgebung mit anschließendem Spaziergang gewesen, so wurden es bald Tages- und schließlich Wochenendtouren mit stundenlangen Wanderungen, vorzugsweise dort, wo eine steife Brise wehte. Nicht umsonst war die kleine Dorothee Klaasen mit Nordseewind aufgewachsen, und Frau Antonie erinnerte sich auch wieder, daß sie früher häufig im Riesengebirge gewesen war, wo es ebenfalls nicht gerade windstill ist.
    Eine gemeinsame Kur in Bad Hofgastein, die Frau Antonie von der Kasse verordnet bekam und Frau Klaasen-Knittelbeek selbst bezahlte, stärkte beider Gesundheit so nachhaltig, daß sie anschließend eine zweiwöchige Mittelmeer-Kreuzfahrt machten und von jedem Hafen eine begeisterte Ansichtskarte schickten. Auch der Canasta-Club bekam welche und beschloß daraufhin, Frau Klaasen-Knittelbeek nun doch als vollwertiges Mitglied aufzunehmen und ihr vor allen Dingen endlich die Spielregeln beizubringen; Dorothee konnte nämlich nur Rommé und selbstverständlich Bridge.
    Im Gegensatz zu Frau Antonie, die nie selber Auto gefahren und alles, was nicht in den Bereich Haushalt und Kindererziehung gefallen war, ihrem Ernst überlassen hatte, war Dorothee Klaasen schon in jungen Jahren zur Selbständigkeit erzogen worden, sie konnte ein Kursbuch genauso lesen wie eine französische Speisekarte und ließ sich weder von einem Hotelportier noch von einem Schalterbeamten der Deutschen Bundesbahn einschüchtern. Nur eins hatte sie nicht gelernt: Kochen.
    Und das wiederum beherrschte Antonie aus dem Effeff, hatte es jedoch kaum noch getan, denn »für eine Person allein lohnt sich das doch gar nicht«. Für zwei allerdings schon, zumal Frau Klaasen-Knittelbeek endlich das gelang, was Tinchen jahrelang vergeblich versucht hatte: Frau Antonie zum Ankauf eines Gefrierschranks zu überreden. Seitdem wurde wieder richtig gebraten und gebrutzelt, portionsweise eingefroren, und wenn kein Platz mehr war, durfte Tinchen mit ihrer Kühltasche kommen und alles das mitnehmen, was zuunterst lag. Hatte Florian drei Tage lang Nudeln in verschiedenen Variationen essen müssen, weil seine Frau aus Bequemlichkeit auf das praktische
In-sechs-Minuten-fix-
und-fertig-gekocht
zurückgegriffen hatte, dann kam garantiert der Stoßseufzer: »Räumt Toni nicht mal wieder ihren Gefrierschrank aus?«
    Kaum zu übersehen war allerdings, daß ihre Kochkunst unterschiedliche Wirkung zeitigte. Während sich Dorothees hagerer Körper zu schlank bis wohlproportioniert rundete, mußte Frau Antonie wieder auf Konfektionsgröße 46 umsteigen, obwohl sie ihre gesamte Trauerkleidung doch schon in 44 hatte kaufen können. Nun ja, die hatte sie ohnehin vor Monaten in die Mansarde gebracht, wo die ganzen ausrangierten Sachen hingen, aber nun mußte sie sich auch von den Wiener Modellen trennen, und das war schmerzlich. Bis vor kurzem hatte sie den Reißverschluß von dem Blaugeblümten noch bis auf die letzten anderthalb Zentimeter zuziehen können, doch dann hatte sie das nicht mal mehr mit aller Gewalt geschafft. Ab sofort also keinen selbstgebackenen Kuchen mehr am Nachmittag, und wenn, dann nur einen ganz trockenen ohne Sahne, und die Chips abends beim Fernsehen und erst recht die Champagnertrüffel würde sie wohl ebenfalls streichen müssen. Pavla hatte ja auch gesagt, daß Obst viel gesünder sei, und die mußte das wissen, denn nicht umsonst war sie mal Hilfspflegerin im Krankenhaus gewesen.
    Pavla war die elfte Nachfolgerin von Frau Freitag selig, Tonis langjähriger Putzfrau, die damals nur acht Mark pro Stunde gekostet und ihr sogar noch unentgeltlich die Karten gelegt hatte. Eines Tages hatte sie Durchfall bekommen und war eine Woche später gestorben. Seinerzeit hatte Oma Marlowitz noch gelebt und sofort gewußt, daß das nur die Cholera sein konnte. Im Krieg hatte sie die nämlich oft genug gesehen. Seitdem war die gesamte Familie Bender dagegen geimpft, obwohl sich die vermeintliche Seuche als Darmgrippe herausgestellt hatte und Frau Freitag an einer Blutvergiftung gestorben war. Oma Marlowitz hatte trotzdem auf einer Schutzimpfung bestanden sowie auf einer Desinfizierung des Hauses einschließlich Keller und Garage.
    Aus Gründen der Pietät stellte Frau Antonie erst drei Wochen später eine

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