Hotel Mama vorübergehend geschlossen
»Pavla, Sie schickt der Himmel! Haben Sie ein bißchen Zeit?«
»Nein, aber kann Mann von Frau Schmidt warten.«
»???«
»Hat telefoniert, daß ich soll sagen, was steht in Brief aus Praha. Kommt von Firma, was macht Papier für Toilette.«
Frau Antonie atmete auf. »Ach so, Sie sollen einen tschechischen Brief übersetzen?« Natürlich war Pavla kein junges Mädchen mehr, aber stand nicht beinahe täglich etwas in der Zeitung von ausländischen Frauen, die verschleppt wurden und dann in irgendwelchen Absteigen landeten? »Und dieser Herr Schmidt importiert Toilettenpapier?«
»Weiß nicht, was ist importieren, aber Mann von Frau Schmidt malt.«
»Auf Toilettenpapier?«
»Nein, auf Wand von Häuser.« Energisch drängte sie ins Haus. »Was ist los? Warum Sie noch nicht richtig angezogen?«
Erst jetzt fiel Frau Antonie auf, daß sie noch immer im Morgenrock herumlief, und das um zehn Uhr vormittags! Aber sie war einfach nicht zum Duschen gekommen und folglich auch nicht zum Anziehen. Dorothee war eben doch recht anspruchsvoll. »Frau Klaasen-Knittelbeek ist krank, wahrscheinlich Grippe, und nun muß ich mich natürlich um sie kümmern.«
»Werde
ich
kümmern!« Pavla stellte ihre Handtasche ab, wusch sich in der Küche die Hände und stieg die Treppe empor. »Guten Tag, Frau Klaas«, hörte Toni noch, bevor sie ein Weilchen gar nichts und dann nur noch einen Entsetzensschrei vernahm. »Kommt überhaupt nicht in Frage, damit bringen Sie mich um!« kreischte Dorothee, »außerdem wird jede Minute mein Arzt hier sein, der verschreibt mir schon die richtigen Medikamente!«
»Nix Tabletten!« brüllte Pavla zurück, »macht noch mehr krank! Habe ich gearbeitet in Hospital für alte Leute und gesehen, wie sterben. Mutter von meine Mutter ist geworden hundert Jahre alt und kann leben noch heute, wenn nicht gestorben bei Unfall in Autobus. War noch nicht tot, ist gekommen in Hospital, und dann war tot.«
»Was hat denn das alles mit mir zu tun?« jammerte Dorothee. »Ich habe doch nur eine Grippe.«
»Und für Grippe man braucht kein Arzt.« Pavla trabte zurück in die Küche, braute in Ermangelung von Fliedertee, mit dem Frau Antonie leider nicht dienen konnte, ein Gemisch aus diversen Kräutern zusammen und flößte es trotz erheblichen Protests der Patientin ein. Danach wurde sie erst in ein feuchtes Bettlaken und dann in eine Wolldecke gewickelt, obendrauf kam das Deckbett, und in zwei Meter Entfernung bezog Frau Antonie Posten, damit sich Dorothee nicht aus ihrem Schwitzkasten befreite. Genau zwanzig Minuten müsse sie so liegenbleiben, hatte Pavla angeordnet, sie selbst würde in der Zwischenzeit ein anderes Bett beziehen und ein frisches Nachthemd bereitlegen.
Selbst Frau Antonie, die von alten Hausmitteln durchaus etwas hielt und bei Magenbeschwerden grundsätzlich erst mal Fencheltee trank, war überrascht. Nach Pavlas Roßkur und einem erholsamen Schläfchen von drei Stunden fühlte sich Frau Klaasen-Knittelbeek angeblich wie neugeboren, war einem Täßchen Hühnerbrühe mit Eierstich nicht abgeneigt und gestattete sogar einen Anruf in der Praxis: Ein Hausbesuch sei nun nicht mehr erforderlich.
»Ich glaube, wir sollten uns nach einem Arzt der homöopathischen Richtung umsehen, liebe Antonie«, schlug sie zwei Tage später vor, als sie – wieder fieberfrei – mit dem Frühstückstablett auf den Knien in ihrem Bett saß, »würden Sie mir wohl bitte das Branchen-Telefonbuch herüberreichen?«
»Die Nummer von Pavla habe ich im Kopf!« krächzte Frau Antonie zähneklappernd. »Und wenn Sie nichts dagegen haben, rufe ich sie gleich an. Jetzt habe ich nämlich die Grippe!«
Tinchen erwachte, weil ihre Mutter aus dem Bett gefallen war! Oder war es Frau Klaasen-Knittelbeek gewesen? Außerdem hatte noch irgendwas gescheppert. Etwa die Nachttischlampe? Und wer, um alles in der Welt, brüllte da draußen herum? »Aua, verflucht nochmal! Hier hat ja schon wieder jemand diese verdammte Kamingabel rumliegenlassen! Wenn ich den zu fassen kriege, nagle ich ihn damit an die Wand!« Die Tür flog auf, und ein wütender Florian hüpfte auf einem Bein ins Zimmer. »Kannst du nicht mal einen abendlichen Kontrollgang einführen und alle Fallstricke aus dem Weg räumen, Tine? Da nimmt man nun Rücksicht, macht kein Licht und versucht, leise zu sein, aber zum Dank dafür fliegt man über Kohlenschaufeln und Rollschuhe. Außerdem steht neben der Haustür ein Blumentopf mit gefrorenem Wasser, das heißt, er stand dort,
Weitere Kostenlose Bücher