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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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ihre erste offizielle Aufgabe gewesen, eine Putzfrau zu finden, die nach Möglichkeit eine Lebensstellung suchte. Dorothee entwarf einen Text, in dem viel von Vertrauensverhältnis die Rede war, von kinderlosem Haushalt, angenehmem Arbeitsklima und guter Bezahlung. Florian wiederum spendierte den Damen in der Anzeigenabteilung des ZEITSPIEGEL ein Dutzend Windbeutel sowie eine Packung Beste Bohne, damit sie das Inserat günstig plazierten, aber die Rechnung vergaßen, und schon drei Tage später nahm Frau Klaasen-Knittelbeek unter zeitweiligem Beistand von Frau Antonie das Defilee der siebzehn Kandidatinnen ab. Sie kamen im Halbstundentakt, die letzte abends kurz vor neun, doch der ganze Aufmarsch wäre eigentlich überflüssig gewesen. Dorothee hatte sich gleich für die erste Bewerberin entschieden, für Pavla aus Kutna Hora, eine gestandene Frau Mitte Vierzig mit roten Apfelbäckchen und lustigen braunen Augen. Frau Antonie versuchte es sofort mit ein paar polnischen Floskeln, die ihr noch in Erinnerung geblieben waren, doch Pavla lachte nur. »Bin ich nicht Pole, bin ich geboren in Pardubice und bin ich geheiratet in Kutna Hora.«
    »Also Pardubitz, wie wir damals gesagt haben«, stellte Frau Klaasen-Knittelbeek richtig, »dort war ich 1944 Mädelführerin in einem KLV-Lager.«
    »Darauf würde ich nun nicht gerade stolz sein«, bemerkte Frau Antonie leise, und dann, zu Pavla gewandt: »Sind Sie schon lange hier in Deutschland?«
    Seit einem halben Jahr, sagte Pavla, die Tante hätte sie zum Kommen aufgefordert und ihr eine Stellung besorgt in einer Fabrik, aber das sei zu langweilig gewesen, immer dasselbe machen »mit Maschine Löcher in Eisen«, sie arbeite lieber im Haushalt, hätte auch schon eine Putzstelle, »aber ist zu wenig, ich habe noch Zeit«.
    Ob denn ihr Mann auch hier sei, wollte Dorothee wissen.
    »Ist nicht mehr mein Mann, habe ich geschieden wegen eine andere, ist so alt wie Schulmädchen.«
    Womit die Sache klar und Pavla eingestellt war. Künftig würde sie zweimal wöchentlich kommen, bei Bedarf auch öfter. Daß sie hervorragend kochen konnte, stellte sich heraus, als Frau Antonie gleichzeitig ihr Gulasch auf dem Herd, den Telefonhörer in der Hand und das entnervende Piepsen der Waschmaschine im Ohr hatte, mit dem das Gerät das Ende des Programms signalisierte. Antonie versprach Frau Reutter einen baldigen Rückruf, zog den Topf von der heißen Platte und lief in den Keller. Bis sie die vielen Tischdecken, Handtücher und Servietten auf der Leine hatte (In den Sommermonaten benutzte sie den Trockner grundsätzlich nicht, einmal aus Gründen der Sparsamkeit und zweitens wegen der frischen Luft für die Wäsche!) und in die Küche zurückkam, hatte Pavla das Fleisch angebraten, Zwiebeln und Paprika geschnitten und inspizierte gerade das Gewürzregal, in dem die nach ihrer Ansicht wichtigsten Ingredienzien für Gulasch fehlten, nämlich Chili-Schoten. Sodann wurde die Zubereitungsart von Tafelspitz diskutiert, der bei Frau Antonie weniger klangvoll ›Rindfleisch mit Meerrettichsoße‹ hieß, und als sich Pavla schließlich erbot, einmal echte Böhmische Buchteln zu machen, hatte sie Frau Antonies Herz endgültig erobert. Künftig gab es mindestens einmal wöchentlich tschechische Spezialitäten zu essen, und an wenigstens zwei Tagen saßen sie zu dritt am Mittagstisch, den Pavla jedesmal liebevoll mit Frau Antonies bestem Porzellan und den Kristallgläsern deckte, auch wenn nur Mineralwasser hineinkam. An den übrigen Tagen, wenn Pavla nicht da war, benutzten sie das Alltagsgeschirr und Wassergläser von Ikea. Und sonntags wurde meistens auswärts gegessen, darauf legte Frau Klaasen-Knittelbeek Wert, denn der lieben Antonie stand schließlich auch ein freier Tag zu!
    Die Grippewelle offenbarte es! Sie hatte auch Dorothee erwischt, die sich nach dem zweiten Hustenanfall sofort wieder ins Bett legte, ihren Krefelder Hausarzt um eine Visite bat und bis zu seinem Erscheinen abwechselnd heißen Tee und kalte Apfelsaftschorle trank, letztere wegen des bedrohlich hohen Fiebers von 39,1. Frau Antonie trabte unermüdlich treppauf und treppab, brachte Heizkissen, Bettjäckchen, das große Gesundheitsbuch und sicherheitshalber auch noch die Bibel, holte die Brille, das Fernsehprogramm, die Tempotücher, den Kugelschreiber für das Kreuzworträtsel … und als plötzlich Pavla vor der Tür stand und nur schnell ihre vergessene Strickjacke holen wollte, wäre sie ihr beinahe um den Hals gefallen.

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