Hotel Mama vorübergehend geschlossen
auf dem Zimmer serviert hatte, weil er gerade jetzt nicht weggekonnt hatte wegen der ganzen Kabel und überhaupt und so. Eine Stunde später hatte er den leeren Teller runtergebracht und gefragt, ob er sich noch eine Scheibe Brot nehmen dürfe. Mit drei gut belegten sowie einem Glas Milch und zwei Äpfeln war er wieder nach oben gezogen, und dann hatte Florian den Fernseher ausgeschaltet, weil ständig Streifen durch's Bild gelaufen waren. Das läge an der Feinabstimmung, hatte Björn gesagt, er habe wohl bei der Demontage ein bestimmtes Zusatzteil vergessen mitzunehmen, morgen werde er das sofort in Ordnung bringen, und überhaupt sollten Tante Tina und Onkel Florian jetzt besser schlafengehen, die Zeitverschiebung hätten sie doch noch immer nicht richtig drin.
So kam es, daß Tinchen die letzten 63 Seiten vom
Medicus
in einem Zug auslesen konnte, obwohl ihre Konzentrationsfähigkeit auf die mittelalterliche Story durch die Geräusche aus Björns Zimmer erheblich beeinträchtigt wurde. Und das lag weder an der Musik noch an den dazugehörigen Texten, obwohl sie nun wirklich nicht ins zwölfte Jahrhundert paßten, sondern in erster Linie an der Lautstärke. Doch die würde sich sofort auf ein Minimum reduzieren, hatte Björn versprochen, sobald er den endgültigen Standort der Boxen ermittelt und die Bässe aufeinander abgestimmt hätte. Um 23.17 Uhr schien er es geschafft zu haben, denn zu diesem Zeitpunkt verstummten Guildo Horn und seine Orthopädischen Strümpfe, und es kehrte endlich Ruhe ein.
»Vielleicht ist auch bloß eine Sicherung kaputt!« befürchtete Florian, von der plötzlichen Stille aufgeschreckt, »aber wehe, du sagst ihm, wo welche liegen!«
Drei Tage dauerte es, dann endlich normalisierte sich der Alltag im Hause Bender, denn Björn hatte sich fertig ›eingerichtet‹. Das etwas zu groß geratene Aquarium hatte eine Um-Möblierung nötig gemacht, weil angeblich auch Fische am Leben außerhalb der eigenen vier Wände teilnehmen wollten. Deshalb wurden sie samt ihrer zentnerschweren Behausung neben das zweite Fenster gestellt – Westseite, wegen der zur Zeit ohnehin nur minutenlang scheinenden Sonne, denn Fische brauchen gemäßigtes Licht! –, obwohl Florian berechtigte Zweifel geäußert hatte, ob ein Blick in die Baumkronen der natürlichen Umwelt von Wanda und Wendelin entsprechen würde; einen generellen Umzug in den Wintergarten hatte er jedoch abgelehnt.
Bedingt durch die als Fundament für das Aquarium benötigte Kommode und die dadurch fällige Umgruppierung von Schreibtisch und Sitzecke mußte der Kleiderschrank aus dem Zimmer entfernt und auf dem recht geräumigen Flur aufgestellt werden, was von Björn begrüßt wurde, denn »Ich hasse diese unförmigen Kästen, die jede Entfaltungsmöglichkeit in einem Raum einschränken!« Dann entfaltete beziehungsweise entrollte er mehrere Poster, auf denen weder Rock – noch Pop-, noch Filmstars zu sehen waren, sondern die deutsche Fußball-Nationalmannschaft.
Florian war enttäuscht. »Von dir hätte ich eigentlich etwas anderes erwartet als eine Vorliebe für diese Balltreter. Es gibt doch attraktivere Sportarten!«
»Klar, Karate zum Beispiel. Da konnte ich schon nach der zweiten Trainingsstunde dicke Bretter durchhauen. Mit'm Gipsarm!« Björn rollte die Poster wieder zusammen. »Ich muß mir erst andere besorgen. Die hier hat mir unser Hausmeister aus seinen eigenen Beständen gegeben, bei dem hatte ich nämlich'n Stein im Brett, und irgendwas mußte ich haben, um die durchgeweichte Tapete zu verdecken.«
»Aha«, sagte Florian, verständnisvoll nickend, »mit dem Stein im Brett hast du die Tapete abgedeckt? Das mache ich auch immer so.«
Jetzt war es Björn, der etwas unintelligent guckte. »Herr, dunkel war der Rede Sinn!«
»Deiner auch, also laß Schiller in Ruhe und erkläre mir lieber, wieso in eurem Internat die Tapeten durchgeweicht sind,
bevor
die Feuerwehr dagewesen ist.«
Björn setzte sich auf einen Stapel Lexikothek,
Naturenzyklopädie Europas Band 5-11,
für die er bisher noch keinen Platz gefunden hatte. Zumindest keinen, der ihm den dauernden Anblick dieses ungeliebten Weihnachtsgeschenks ersparte. »Wir haben den Geburtstag von Martin gefeiert, meinem Freund – das ist der mit dem doppelten Beinbruch –, erst offiziell im sogenannten Gesellschaftszimmer mit alkoholfreier Bowle und Käsegebäck, später bei uns im Zimmer mit Sangria und 'n bißchen Speed. Ich weiß ja auch nicht, wer's gewesen ist, aber
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